Friedrich von Oppeln-Bronikowski: Arkona, Rethra, Vineta


Friedrich von Oppeln-Bronikowski: Arkona, Rethra, Vineta. (PDF)

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In die Kämpfe der Nordgermanen und der Sachsen mit dem wendischen Heidentum Ostelbiens führt ein reichillustriertes Buch Carl Schuchhardts, des bekannten Prähistorikers und langjährigen Leiters der vorgeschichtlichen Abteilung des Berliner Museums für Völkerkunde (Berlin, Hans Schoetz u. Co.), das den obigen Titel trägt. Aus alten Sagen und Chroniken wird hier der geschichtliche Kern herausgeschält, und die seit der Renaissance an den verschiedensten Stellen gesuchten Oertlichkeiten werden genau bestimmt oder durch Ausgrabungen nachgewiesen. Statt dilettantischen Herumratens streng wissenschaftliche Ergebnisse.

Beginnen wir mit Rethra in Mecklenburg, der hochberühmten Tempelburg der Wendenvölker, die dort, nach dem Bericht des Bischofs Thietmar von Merseburg, ihr gemeinsames Nationalheiligtum hatten, wo der höchste Licht- und Donnergott Suarasic, der „Sohn“ des aus der altrussischen Ueberlieferung bekannten Swarog, also der wendische Zeus, angebetet wurde. Das ihm heilige Pferd schaffte, über Speere schreitend, Orakel; Rethra war also ein Delphi der Wendenstämme. In seinem Tempel wurden ihre Fahnen verwahrt, in ihn kehrten sie ein, bevor sie zum Kriege auszogen; ihm stifteten sie nach den Kriegszügen einen guten Teil ihrer Beute. Im Jahre 1068 brach ein großer Wendenaufstand gegen das vordringende germanische Christentum aus. Der Gegenschlag war ein Kriegszug des streitbaren Bischofs Burchard von Halberstadt, der das Nationalheiligtum zerstörte und auf dem heiligen Roß des Suarasic ins Sachsenland heimritt. Wie tief die Erinnerung an diese Schicksalswende im Volksbewußtsein fortlebt, zeigt ein noch heute in Niederdeutschland gesungener Kinderreim:

Buko von Halberstadt,
Bring doch meinem Kinde wat!
Wat sall ick em denn bringen? –
Goldne Schoh mit Ringen!

Man hat Rethra an den verschiedensten Stellen gesucht, mißleitet durch eine Angabe des Chronisten Adam von Bremen, der es, gewiß nur vom Hörensagen, als Wasserburg auf einer Insel schildert, die nur auf einer Holzbrücke zugänglich war. Eine bessere und ältere Quelle ist der schon genannte Bischof Thietmar von Merseburg, der Rethra als „dreihörnige“ Burg beschreibt. Aber auch dieser Ausdruck hat zu mißverständlichen Deutungen und vergeblichen Suchen geführt. Schuchhardt hat ihn richtig als „dreitorig“ gedeutet und nordöstlich von Feldberg, auf dem sogenannten Schloßberg am Großen Lucinsee, eine slawische Burgmauer mit drei Torfundamenten ausgegraben, an die sich nach der Landseite noch eine mehrtorige Vorburg anschloß. Dies ist also die Stätte von Rethra. Von dem Tempel freilich hat sich nur noch die Plattform gefunden: er ist von den Siegern gründlich zerstört worden.

Dreißig Jahre später haben die Dänen Vineta zerstört. Vineta ist bekannt aus der Sage, als versunkene Stadt, die ob ihres Uebermutes vom Meere verschlungen ward, und deren Glocken manchmal noch aus der Wassertiefe heraufklingen. Als Jomsburg oder Jmneta spielt es auch eine Rolle in der dänischen Jomsvikingersage (neuerdings deutsch bei E. Diederichs in Jena), nämlich als Seefeste an der pommerschen Küste, und der schon genannte Adam von Bremen (1075) beschreibt es als blühende slawische Handelsstadt, die den Umschlagsverkehr zwischen dem östlichen Landhandel und den nordischen Ländern besorgte. Vineta war also ein nordisches Venedig, wo sich nordische, russische und sächsische (deutsche) Kaufleute trafen. Es hatte sogar einen Leuchtturm. Das älteste war natürlich die Wikingerfestung, die um 950 gegründet worden ist. Nur kampffähige Männer wurden in sie aufgenommen; das Leben war brüderlich, alle Beute wurde geteilt. Es war also bereits ein Orden mit festen Regeln, eine Vorform des Deutschordens in Ostpreußen. Die slawische Handelsstadt, die im Schutze dieser Seefeste aufblühte, erregte jedoch bald die Eifersucht der Dänen, und die Seeräubereien der Jomsburger führten zu mehreren Strafexpeditionen; bei der letzten (1098) wurden Stadt und Festung völlig zerstört. Kurz darauf wurden sie von einer Sturmflut verschlungen, und fortan lebt Jumneta nur noch in der Sage von Vineta fort.

Man hat es an verschiedenen Orten gesucht, so am Koserower Riff auf Usedom, dessen unter Wasser liegende Gesteinsmassen aber Reste einer Moräne der Eiszeit sind, oder in der Stadt Wollin (bei Saxo Grammaticus Julinum) an der Dievenow, dem östlichsten Mündungsarm der Oder, der aber im Mittelalter nicht schiffbar war. Schließlich auch an der Peenemündung, auf der äußersten Spitze der Insel Usedom, und diese Lage entspricht den alten Nachrichten, wonach es in der Nähe von Rügen gelegen hat. Hier sind auch große Veränderungen der Landkarte erfolgt: noch 1309 hat eine Sturmflut die Insel Ruden, die der Peenemündung vorgelagert ist, von Rügen losgerissen. An dieser dritten Stelle nimmt auch Schuchhardt Vineta an: die Bodengestaltung unter dem ganz seichten Wasser der Peenemündung läßt die Bedingungen seiner Lage noch heute erkennen.

Im 30jährigen Kriege haben zwar nicht die Dänen, wohl aber die Schweden die Hand zum zweitenmal auf die Odermündungen gelegt und damit den Handelsverkehr an sich gerissen. Umsonst entriß ihnen der Große Kurfürst Stettin und Rügen; er mußte seine Eroberung wieder herausgeben. Erst dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., der diese Eroberung im Nordischen Kriege wiederholte, gelang es, Vorpommern wenigstens bis zur Peene zu erwerben und so den Zugang zur Ostsee freizumachen. Aber erst Friedrich der Große, der durch die Erwerbung von Schlesien auch in den Besitz des oberen Oderlaufes kam, machte diesen Zugang durch den Durchstich an der Swinemündung und die Anlage von Swinemünde ganz frei. Dies Beispiel zeigt, daß auch der Gründung und Zerstörung des sagenhaften Vineta handelspolitische Motive zugrunde lagen.

Zweihundert Jahre nach Rethra fiel auch die letzte Hochburg des heidnischen Slawentums, die Tempelburg Arkona auf den Kreidefelsen von Rügen. Ueber die Pracht und die Zerstörung dieses Tempels durch den  Bischof Absalom von Seeland hat der dänische Chronist Saxo Grammaticus als Zeitgenosse, vielleicht als Augenzeuge, berichtet. Der hier verehrte Gott Swantewit, der „Hochheilige“, war identisch mit dem Suarasic von Rethra; auch er hatte ein heiliges Pferd, das durch Schreiten über Speere Orakel schuf. Das riesige Holzbild des vierköpfigen Götzen stand in einem Tempel, dessen Grundriß Schuchhardt ausgegraben hat, auf einem Steinfundament, das er gleichfalls gefunden hat. Das Götzenbild selbst aber wurde bei der Eroberung zerschlagen und verbrannt. Damit endete der letzte heidnische Kult im Wendenland. Um den Festplatz von diesem Tempel zog sich auf der Landseite ein Holz- und Erdwall, an den sich die Wohnungen der dreihundert berittenen Tempelwächter anlehnten; auch die in Flammen aufgegangenen Reste dieser Bauten hat Schuchhardt wieder ausgegraben. Der quadratische Grundriß des Tempels, dem altgermanischen Hausgrundriß wie dem aus ihm entstandenen griechischen Wohnhaus und Tempel gleich fremd, zeigt überraschende Aehnlichkeit mit den Grundrissen gallischer Tempel im Rheinland, von denen ja erst neuerdings in dem Götterbezirk Trier über vierzig freigelegt worden sind. Auch die Vierköpfigkeit des Swantewit kehrt in dem gallischen Gotte Teutates wieder, dessen erstes Bildnis – auf einem Salbgefäß – gleichfalls in Trier zutage gekommen ist. Wir haben es hier also offenbar mit uralten Zusammenhängen zu tun.

Oppeln-Bronikowski, Friedrich von: Arkona, Rethra, Vineta, in: Ostmecklenburgische Heimat, Halbmonatsschrift für ostmecklenburgische Heimatwerte, Landeskunde und Unterhaltung, Jahrgang 5, Heft 1, Teterow 1932 S. 3-5

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