Franz Winter: 9. Das Kloster Broda


Franz Winter: 9. Das Kloster Broda (PDF)

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Als im Jahre 1170 der Dom zu Havelberg geweiht wurde, war auch Fürst Casimir von Pommern zugegen, der als Herr eines Theils des jetzigen östlichen Mecklenburgs mit dem Bisthum Havelberg in enger Verbindung stand. Aber er war zu diesem feierlichen Tage auch noch aus einem andern Grunde gekommen: er hatte mit seinem Bruder Boguslav den Entschluß gefaßt, einen neuen Prämonstratenser-Convent in sein Land zu ziehen. Aecht christlich und ein Zeugniß für die richtige Auffassung ihrer Pflichten als christlicher Herrscher gegen ihr Volk sind die Beweggründe, die die beiden Herzöge in den Dotations- und Confirmations-Urkunden aussprechen. Da die große Güte Gottes, so läßt sich Casimir vernehmen, ihn mit Ansehen und Reichthum vor so vielen andern Sterblichen überhäuft und mit Hoheit irdischer Macht ihn zu erhöhen gewürdigt habe, so habe er beschlossen, die Hingabe seines Herzens an den Herrn zu beweisen und durch Darbringung einer angemessenen Gabe den schuldigen Dank für die Wohlthaten Gottes abzustatten. Und Boguslaus erklärt 1182, da das seiner Herrschaft unterworfene Volk zum größten Theil noch roh und unwissend im christlichen Glauben sei, so glaube er, es werde sein noch halb heidnisches (incredulus) Volk zur Erkenntniß des wahren Glaubens und zur Uebung guter Werke kommen, ihm selbst aber es zum Seelenheil gereichen, wenn er Männer von christlichem Eifer und heiligem Wandel in sein Land ziehe und sie treulich hege und beschütze. Eine stattliche Anzahl von Prämonstratensern sah Casimir an jenem Festtage zu Havelberg vor seinen Augen: die Convente von Jerichow und Havelberg waren vollzählig anwesend. Das Havelberger Domcapitel sollte, so wurde wohl von den zahlreich versammelten Prämonstratenser-Bischöfen und Pröpsten beschlossen, die Mitglieder zu dem in der Havelberger Diöcese neu zu gründenden Stift abgeben. Dem Havelberger Domkapitel machte Casimir darum auch die Schenkung des zur Stiftung bestimmten Areals. Die Ausstattung war fast noch großartiger als bei Grobe, die Vorrechte ausgedehnter, als bei einem andern Kloster und zur Sicherheit der Stiftung wurden Bestimmungen getroffen, wie sie sonst ganz ungewöhnlich waren. Ihre Untergebenen, sowohl Deutsche wie Slaven, sollen frei sein von allen Abgaben. Allen, die unter Pommerscher Herrschaft sich befinden, wird von Casimir anbefohlen, daß sie sorgsam darauf achten sollen, daß nicht etwa Brüder durch verderbliche Nachtheile offen oder heimlich belästigt werden. Ja es soll nicht blos der Schuldige, wenn er entdeckt wird, an Leib und Leben gestraft werden, sondern auch ihre mächtigen Nachbaren, die sie vor Nachtheil und Unrecht hätten schützen können, sollen mit Verlust an ihren Gütern strenge Strafe erleiden. Seine Brüder nennt er die Chorherren, wohl mit Beziehung auf die fraternitas bonorum operum, in der er mit den Prämonstratensern stand, und seine innig geliebten Canonici.[1]

Die Ausstattung, die das neu zu gründende Stift von Casimir erhielt, umfaßte nicht weniger als 35 bestehende wendische  Dörfer, eine Menge wüster Marken und unangebauten Landes, sowie viele Seen. Das Gebiet bildete eine vollständige in sich geschlossene, rings um den Tollense-See herum sich lagernde nicht unbedeutende Herrschaft. Von der jetzigen Pommerschen Grenze an zog sich das Gebiet westlich vom Tollense-See in einer Breite von etwa einer deutschen Meile bis zu den Havel-Seen südlich herunter; der Useriner und Wöplitz-See waren die südlichsten Endpunkte. Eine vom Wöplitz-See auf Stargard gezogene Linie war ungefähr die Ostgrenze, die sich dann in einem weiten  Bogen nördlich von Neubrandenburg wieder an den Tollense-Fluß zog. Viele Quadratmeilen umfaßte dieser Besitz, und innerhalb desselben liegen jetzt fünf Städte.

Wir sind schon daran gewöhnt bei Prämonstratenser-Stiftungen immer nach dem Grunde zu fragen, weshalb grade dieser Ort gewählt wurde. Wir werden auch hier nicht fehl gehen, wenn wir eine Absichtlichkeit in der Wahl des Gebiets am Tollense vermuthen. Das Gebiet des neu zu gründenden Klosters bildete den äußersten Winkel des Havelberger Sprengels. Eingekeilt zwischen die Diöcesen Schwerin und Cammin hatte das Land am Tollense zwar die rüstige Missionsarbeit Otto’s von Bamberg und Berno’s von Schwerin bis an seine Grenzen kommen sehen, aber es war selbst unberührt geblieben von christlichen Einflüssen, weil es einem andern Sprengel zugehörte. Das Havelberger Bisthum aber hatte bis dahin mit den nahe wohnenden und unter brandenburgischer Hoheit stehenden Wenden so viel zu thun gehabt, daß es bei seinem sehr umfangreichen Sprengel an dieses abgelegene Land noch nicht hatte denken können. Und so besteht denn in diesem weiten Gebiete, in diesen 35 Dörfern auch nicht eine einzige Kirche. Das Volk war entweder vielfach noch ungetauft, oder wenn es die Zwangstaufe erhalten hatte, innerlich gewiß noch ganz heidnisch. Es war für Casimir wie für die Havelberger Kirche nun christliche Pflicht, auch für das Seelenheil dieses Volkes Sorge zu tragen.

Daß indes das Heidenthum so ungebrochen hier hatte herrschen können, hatte noch einen andern Grund als die Entlegenheit vom Havelberger Bischofssitze: am Tollense-See war die Stätte eines hochheiligen, wohl des hochheiligsten Nationalcultus: hier lag Rethra, das Gesammtheiligthum der Wilzen oder Lutizen. Vier Stämme führten diesen Gesammtnamen: die Circipaner nördlich der Peene, die Kizziner zwischen Peene und Warnow, die Tholenzer westlich und die Redarier östlich des Tollense-See’s und Flusses. Unter diesen nahmen die beiden letzteren Stämme, die eng verbunden waren und auf deren Gränzgebiet das Heiligthum des Radigast lag, eine gewisse Superiorität in Anspruch. Sie gründeten diesen Anspruch auf das in ihrem Gebiete liegende Natinal-Heiligthum des Bundesgottes, des Radigast (heißt: Rechtsprechung.)[2] Sie legten sich einen besondern Grad von Ansehen und Ehre bei, weil sie von allen slavischen Völkern wegen der Antworten des Gottes und der alljährlich dargebrachten Opfer wiederholt besucht wurden.[3] Diese wendische Völkermasse mit dem Bundes-Heiligthum in Rethra war ziemlich bestimmt durch seine geographische Lage von den übrigen Slavenstämmen abgesondert. Von dem Einfluß der Peene bis Warnemünde war das Meer die natürliche Grenze. Bis Güstrow hinauf schied sie die Warnow von den westlichen Wenden. Bei dieser Stadt aber beginnt südlich der Seengürtel, der in einer unzählbaren Menge von größern und kleineren Wasserbecken, wie Krakower, Plauer, Müritz, Havel- und andern Seen in einem weiten Halbkreis über Krakow, Malchow, Mirow, Fürstenberg, Lychen, Feldberg, Fürstenwerder bis Friedland hin und somit in die Nähe der Peene-Mündung das Gebiet jener Stämme umschlingt und das eingeschlossene Land zu einer Art von Insel macht. Die am stärksten abgeschlossene Seite war aber nicht die Meeresseite, sondern die Südgrenze mit ihren zahlreichen Seen und ihren schwer durchdringlichen Wäldern. In der Nähe dieser geschützten Südgrenze nun erhob sich der Tempel des Radigast. Alle heiligen Orte der Wenden befanden sich gern an oder in Seen und Sümpfen. Ich erinnere an Brandenburg, Havelberg, Ratzeburg, Plön, Wolgast. Ebenso bauten die nördlichen Wenden gern ihre Städte in die Seen hinein: so Schwerin, Plau, Malchow, Waren, Ratzeburg u.s.w. An einem See konnte daher auch nur der Nationalcultus der Wilzen erwachsen. Nun aber giebt es außer dem Kummerow- und dem Malchiner-See innerhalb des oben begrenzten Gebietes keinen größern als den Tollense-See mit seinem Anhängsel, dem Lieps-See. An diesem See nun war es, und wahrscheinlich am südlichen Ende, an dem Tollense-See und Lieps-See bei größerem Wasserreichthum noch mehrfach sich die Hand reichten, wo der Tempel des Radigast sich befand. Auf einer Insel lag Rethra und hatte drei Zugänge, von denen wieder jeder drei Thore mit Brücken über dazwischen fließende Seearme hatte. Zwei Zugänge waren für Jedermann frei; der dritte führte im Osten der Stadt auf schmalem Pfad am Rande des Sees entlang zum Tempel des Radigast und wurde nur von Opfernden und Rathsuchenden betreten.

Wir haben es hier nicht mit der Darlegung des Cultus zu thun; für unsere Aufgabe genügt es hinzuweisen auf die nationale Bedeutung dieses heiligen Ortes. Und diese war eine doppelte: eine religiöse und eine politische. Der Tempel bei Rethra war der Haupttempel der Wilzen. Hatten gleich die einzelnen Stämme für sich besondere Heiligthümer und Götter, so reichte doch keins an den Tempel bei Rethra. An diesem geheimnisvollen Orte den heiligsten Gott zu verehren, war innerhalb des Wilzenstammes ein religiöses Bedürfniß. Die Verehrung des Radigast erstreckte sich aber weit über diese Völkermasse hinaus: er stand bei der gesammten Slavenwelt in hohem Ansehen und von weit her kam man, um hier seine Opfer darzubringen. Das politische Leben eines Volkes läßt sich aber von dem religiösen nicht scheiden. Die Theorie mag ihre Systeme aufstellen, nach denen sie schablonenartig die eine Lebensäußerung in diese, die andere in jene Rubrik überweist: die Wirklichkeit des Volkslebens ist an solche Distinctionen nicht gewöhnt. Religiöse und staatliche Superiorität sind ihm eng verbundene Dinge. Bei den Wenden nun existirte überhaupt nur so weit ein politisches Leben, als es ein religiöses Volksleben gab. Bei der Neigung dieses Volkes, in familienhaften und sippenhaften Gemeinschaften gegen größere Organismen sich abzuschließen, konnte nur der gemeinsame religiöse Zug und Cultus zeitweis das Bewußtsein der Gemeinsamkeit in größeren Volksgruppen wecken. Was sich darum unter den Wilzen von Volksbewußtsein und Stammesgemeinschaft fand, das knüpfte sich an den Tempel von Rhetra. Es ist nicht zufällig, daß Thietmar von Merseburg dasjenige, was er vom politischen Leben der Wilzen erzählt, an die Beschreibung des Tempels und Cultus des Radigast anknüpft. Hier befanden sich im Frieden die Feldzeichen des Heeres; hier suchte man den Ausgang eines Krieges durch Loose und durch das heilige weiße Roß zu erfahren; hier opferte man nach dem glücklichen Ausgang die Dankopfer; hier endlich fanden ohne Zweifel die Volksversammlungen statt, bei denen die für die Gesammtheit der Wilzen bindende Beschlüsse gefaßt wurden.[4] Hier war also das Herz des Volkslebens der Wilzen.

Eine große Wichtigkeit verliehen dem Orte auch die geschichtlichen Erinnerungen. Als im Jahre 1066 die Empörung gegen den christlichen König Gottschalk losbrach, da erlitt auch der greise Bischof Johann von Mecklenburg (Schwerin) den Märtyrertod. Nach mancherlei Verhöhnungen seines Körpers ward ihm das Haupt abgeschnitten, wie ein Siegeszeichen auf einen Spieß gepflanzt und dem Gotte Radigast geopfert.[5] Zwei Jahre später zerstörte nun zwar Bischof Burchard von Halberstadt den Tempel, führte das heilige Roß weg, setzte sich selbst auf dasselbe und kehrte auf ihm nach Sachsen zurück;[6] bald indeß wurde der Tempel von Neuem aufgebaut. Eine zweite Zerstörung erlitt Rethra und der Tempel unter Lothar; aber auch hierauf entstand es wieder aus seiner Asche.[7] Bischof Otto hatte wohl auf seiner zweiten Missionsreise nicht wagen dürfen, durch das Gewirr der Havelseen hindurch auf Rethra vorzudringen, zumal da seine Hauptabsicht auf Pommern gerichtet war. Er hatte seinen Weg über Wittstock oder Pritzwalk nach Norden genommen, auf einer Straße, die wenigstens einigermaßen für eine Caravane von 50 Wagen gebahnt war. In fünf Tagen passirte er mit seinem schwerfälligen Reisezuge den zwischen diesen beiden Städten und dem Möritzsee gelegenen Wald, durchschritt denn Seen-Zug wohl da, wo noch jetzt die Straße hindurch führt, zwischen dem Möritz- und Kalpin-See und ging dann über Malchin direct auf Demmin, Rethra, das noch nicht wieder aufgebaut war, zur Seite lassend. Bei der gereizten Stimmung, die damals unter den Redariern gegen die Deutschen herrschte, würde er unter ihnen nicht seines Lebens sicher gewesen sein. Dennoch blieb sein Durchzug nicht ganz ohne Folgen für dies Volk. Bei den gegenseitigen Raubzügen hatte der Pommernherzog viele Gefangene aus dem Lande der Rhedarier und Tolenser eingebracht, die nun unter die Sieger vertheilt werden sollten. Otto, dem das Loos der zerrissenen Familien zu Herzen ging, bat und kaufte viele Gefangene los, taufte diese und entließ sie dann in ihr Vaterland. Einfluß freilich auf die Anschauung des Volkes kann dies nicht gehabt haben; auch die getauften Lutizen sind Heiden geblieben.[8] Auch jener riesige Heereszug von 1147 ließ Rethra unberührt, obwohl man ja gerade ein Interesse daran haben mußte, diesen Heerd des Heidenthums zu zerstören. Wahrscheinlich war auch ihm jener Seengürtel im Süden Rethras eine zu unheimliche Mauer. Die Kreuzfahrer zogen genau denselben Weg, den 19 Jahre vor ihnen Otto gezogen war. Wir können die Linie ihres Zuges so ziemlich verfolgen. Im Walde am Müritzsee finden wir das Heer, wenn Abt Wibald von Corvei an seine Mönche schreibt: Bei so vielen Gefahren, die ich Tag und Nacht auf dem Zuge gegen die Heiden jenseit der Elbe in silva Ercinia ausgestanden habe, bin ich doch heiter und wohl auf. Denn die silva Ercinia ist ohne Zweifel eine scherzhafte Uebertragung des Schreckgespenstes des silva Ercinia mit seiner Ausdehnung von vielen Tagereisen auf den ähnlich klingenden Möritz-Wald (silva Morcinia),[9] gewissermaßen den überelbischen hercinischen Wald. Am Ausgange dieses Waldes lag die Veste Malchow, wohl der Hauptort der Möritz-Wenden. Sie wurde nebst einem daneben gelegenen Tempel niedergebrannt. Endlich im Westen des Müritz-Sees durchdringend kamen sie der Straße nach Norden folgend vor Demmin. So lag Rhetra abseits und wurde verschont. Anders im Jahre 1150. Als sich in diesem Jahre die nördlichen Circipaner und Kyciner weigerten, dem Herzog Heinrich den Tribut zu zahlen, brach der Graf Adolf zugleich mit dem Wendenfürsten Niclot von Westen her ein, verheerte nicht blos das Gebiet dieser beiden Stämme, sondern auch das der mit ihnen vereinten Redarier und Tolenser. So von der verwundbarsten Nordwestseite her angegriffen, fiel Rhetra mit seinem hochberühmten Tempel, seinen Götzenbildern und dem ganzen heidnischen Cultus der Zerstörung anheim.[10] Das war der Todesstoß für den Tempel des Radigast. Seitdem erstand er nicht wieder. Wenn in der Urkunde von 1170 von vielen wüsten Dörfern am südwestlichen Ende des Tollense-Sees die Rede ist, so dürfen wir darin die Spuren jener Verwüstung vor 30 Jahren erblicken.

Zerstört war nun der Mittelpunkt des Heidenthums unter den Wilzen, aber das Christenthum damit noch lange nicht aufgebaut. Den Bau sollte das neu zu errichtende Kloster übernehmen. In dem neuen Prämonstratenserstifte am Tollense-See sollte der Centralpunkt für christliche Gesittung erstehen, wie in dem Tempel zu Rhetra ein solcher für das Heidenthum gewesen war. Noch war der Platz für die Stiftung nicht bestimmt. Casimir hatte den Stiftsherren freie Hand darin gelassen. Der Ort von Rhetra mitten in Seen und abgelegen von jeder Verkehrsstraße wäre allerdings ein geeigneter Platz für Cistercienser gewesen: Prämonstratenser konnten ihn für ihre Stiftung trotz des dem Orte anhaftenden historischen Charakters und trotz seiner Bedeutung für das heidnische Volk nicht wählen. Sie mußten zwar die Verbindung mit jenem Orte festhalten, konnten auch ihre Stiftung deshalb nicht allzuweit davon entfernen; allein näher an einen Verkehrspunkt mußten sie dieselbe nothwendig bringen. Wäre Rethra noch eine bewohnte Stadt gewesen, dann hätte sich vielleicht eine Prämonstratenserstiftung dort errichten lassen; in den verlassenen Ruinen war der Platz für Norberts Genossen nicht. Nun nahm ein Ort einen hervorragenden Platz unter den 35 Ortschaften ein, das war Brode. Es wird dort bald nach 1200 ein Markt und ein Krug erwähnt, wahrscheinlich bestand beides schon vor 1170. Daß Brode eine Bedeutung als Verkehrspunkt hatte, läßt sich nicht nur im Allgemeinen aus der Nähe Rethras schließen, sondern sich auch speciell aus dem Namen selbst beweisen. Brode heißt Furth: hier war ein frequenter Uebergangspunkt über den Tollense-Fluß. An dem Nordende des Sees gelegen, bot es von Süden her die erste Möglichkeit zum bequemen Uebergang über den Fluß. Wir vermögen aber noch mehr aus der Lage zu schließen: Brode liegt nur ein wenig nördlich von der geraden Linie zwischen Hamburg und Stettin. Ueber Brode mußte die große Heerstraße von Hamburg nach Stettin führen, da südlich davon wegen der Seenreihe eine verkehrsreiche Landstraße nicht möglich war. Wir können ihren Zug einiger Maßen verfolgen. Von Hamburg her muß sie über Ratzeburg und Schwerin, die Bischofsstädte geführt haben. Von Schwerin aus hielt sie sich wohl im Allgemeinen auf der Wasserscheide zwischen Ostsee- und Elbgebiet, berührte vielleicht den Nordrand des Plauer- und Müritz-Sees, ging bei Brode über die Tollense und endlich über Pasewalk nach Stettin. Aber Brode hatte nicht blos als Durch- und Uebergangspunkt, sondern auch als Stationspunkt Bedeutung. Adam von Bremen sagt, daß Rethra vier Tagereisen von Hamburg liege. Eine solche Bestimmung würde für unsere Zeit jedes Anhaltes entbehren, da es jetzt nur bei uns liegt, wie weit wir die Tagereise ausdehnen wollen. In jener Zeit aber war eine Tagereise wirklich ein objektives Längenmaß. Man mußte seine Tagereisen nach den Stationen einrichten, die man auf der Straße hatte, und an denen man für die Nacht Obdach fand. Betrachten wir nun die Straße von Hamburg her, so fallen Ratzeburg und Schwerin sofort als die ersten Stationen in die Augen. Einen dritten Stationspunkt würden wir in der Gegend des Krakower und Plauer Sees zu suchen haben und der vierte wäre bei fast ganz gleicher Entfernung unser Brode. Von Stettin aus gerechnet tritt uns Pasewalk am Uebergang über die Uker als erste, unser Brode als die zweite Station entgegen. Ein Stationspunkt an einer Straße mit vier so bedeutenden Punkten, wie Hamburg, Ratzeburg, Schwerin und Stettin schon in heidnischer Zeit waren, und bei dem regen wendischen Handelsverkehr, an einer Straße, auf die sich von Süden her auch der Handel von Bardewick nach Stettin hin wenden mußte, war wirklich kein unbedeutender Ort. Ja fehlten uns alle diese Gründe für die Bedeutung von Brode: schon der eine Umstand, daß die Markgrafen von Brandenburg im unmittelbaren Anschluß an Brode 1244 die Stadt Neubrandenburg gründen, oder vielmehr den Flecken Brode in diese Stadt verwandeln, wäre Beweis genug für die Wichtigkeit von Brode. Denn Städte wurden in jener Zeit nicht so gegründet, daß Fürsten eine Vorliebe für diesen oder jenen Ort haben, sondern sie erwuchsen an lebensfähigen Orten von selbst und die Fürsten hatten nur die allerdings von ihnen mit großer Weisheit wahrgenommene Pflicht zu üben, durch Vorrechte ihr Gedeihen noch rascher zu fördern.

In Brode also am Nordende des Tollense-Sees und am Ausfluß des gleichnamigen Flusses aus demselben erwählte man den Platz für die neue Stiftung. Indeß es waltete zunächst ein besonderes Mißgeschick darüber. Noch 1182 war es nicht zur Errichtung des Klosters gekommen[11]. Man könnte auf den Gedanken kommen, das Havelberger Domcapitel, das die Gründung übernommen hatte, habe es für bequemer gehalten, die zur Datirung bestimmten Güter selbst zu genießen und darum die Errichtung des Stifts möglichst weit hinaus geschoben. Allein wir sind nicht berechtigt, diesen Geist der Bequemlichkeit und des Genusses schon jetzt in dem Orden zu suchen. Wahrscheinlicher ist ein anderer Grund für den Aufschub der Gründung. Wir haben früher gesehen, daß das Kloster Grobe um 1168 aufs Neue einen Convent aus Havelberg erhielt, und ohne Zweifel keinen schwachen für die ausgedehnten Besitzungen. Das Domcapitel war daher nicht im Stande, schon 1170 sofort wieder eine neue Colonie abzugeben. Es kam ja nicht blos darauf an, neue Glieder aufzunehmen, sondern die Aufgenommenen mußten auch mit dem Ordensgeiste erfüllt werden. Und Brode bedurfte für sein weites Territorium viele und tüchtige Brüder. So verzögerte sich also die Klosteranlage bis 1181. In diesem Jahre aber brach über das dem neuen Stift angewiesene Gebiet von außen ein Unwetter herein, das seine Gestalt vollständig veränderte. In dem Kampfe zwischen Heinrich dem Löwen und dem Kaiser nahm Fürst Casimir entschieden Partei für Heinrich. Der Markgraf Otto von Brandenburg zog gegen ihn und schlug ihn. Casimir, der Gründer Brodes fiel und das ganze Redarierland kam an Brandenburg und mit demselben auch die Besitzungen Brodes südöstlich des Tollense-Sees. Damit war fast die Hälfte des Klostergebietes verloren. Des Casimir Bruder Boguslav hegte zwar dieselbe freundliche Gesinnung gegen dasselbe, aber einen Ersatz erhielt das Stift nicht.[12] Indeß den Ersatz schaffte der Orden selbst, indem er nun in Brode baute, um das noch immer bedeutende Klostergebiet aus der Nähe zu cultiviren und zu christianisiren. 1230 hat das Stift Brode drei Dörfer „van wilder wede“ aufgebaut, und drei Kirchen, die zu Pentzelin, Ankershagen und Waren, befinden sich im Besitze des Stifts, sind also wohl unter seinem Einflusse entstanden. Ja was das Kloster im Osten verloren hat, das erhält es 1230 im Westen völlig ersetzt. Die Herren von Werle nämlich suchten die Beihülfe des Klosters für die Germanisirung ihres Landes zu erhalten. Zu diesem Zwecke übergeben sie demselben sechs Orte im Nordosten des Müritzsees, und in jedem derselben mehrere Hufen Kirchlehn und Mannlehn. Welches der Einfluß der Prämonstratenser auf den Anbau des Landes gewesen ist, das vermögen wir speciell nicht mehr nachweisen. Was sie aber für das kirchliche Leben gethan haben, das ergiebt sich daraus, daß nachher das Kirchlehn in Kirchen unter dem Patronat Brodes verwandelt ist. Wenn wir in späterer Zeit die Kirchen von Neubrandenburg, Weitin, Wulkenzien, Chemnitz, Niendorf, Sirgezow und Reesen im Besitz des Klosters finden, so beweist uns das die kirchliche Thätigkeit, die die Chorherrn in dem ursprünglichen Gebiete um den Tollense-See bald nach 1182 geübt haben. Wenn aber ebenso die Kirchen von Penzlin, Smorte, Luckow, Schlön, Kargow, Federow, Ankershagen, Klockow, Rumpshagen, Schönau, Freidorf, Waren, Schwenzin und Falkenhagen unter dem Klosterpatronat stehen, so sind diese Kirchen redende Beweise für den umfassenden Einfluß des Klosters auf das Land der Herrn von Werle.[13] Fassen wir alles das mit einem Worte zusammen, so dürfen wir sagen: die kirchliche Organisation des ganzen Landes zwischen dem Tollense- und dem nördlichen Müritz-See ist ein Werk der Prämonstratenser von Brode.

Winter, Franz: 9. Das Kloster Broda, in: Die Prämonstratenser des zwölften Jahrhunderts und ihre Bedeutung für das nordöstliche Deutschland, Ein Beitrag zur Geschichte der Christianisirung und Germanisirung des Wendenlandes, E. Schweigger’sche Hof-Buchhandlung, Berlin 1865 S. 198-210

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[1]    Riedel 3, 84 und 87. Lisch, Mecklenb. Jahrb. III., Urk.

[2]    Leo, Vorlesungen II.

[3]    Helmold I., cap. 21.

[4]    Thietmar lib. VI., S. 151 der Ausgabe von Wagner.

[5]    Helmold 1, 23

[6]    v. Raumer, Brand. Regesten Nr. 592.

[7]    Ebbonis vita Ottonis bei Pertz 14, 862. Siehe Excurs 3.

[8]    Pertz 14, 801.

[9]    Wartem und Durand, coll. Ampl. II., 221. (Anm. vt: Martene und Durand)

[10]  Helmold 1, 71. – Excurs 14.

[11]  Riedel 3, 87. Mecklenb. Jahrb. III., 197 ff.

[12]  Riedel 3, 87. Meckl. Jahrb. IV., 387.

[13]  Lisch, Meckl. Jahrb. III., 32 ff. 208 ff.

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