Gustav Oesten: Die Ergebnisse der Rethraforschung. (1912) (PDF)
Digitalisiert durch: rethra.wordpress.com
Die unter Führung der Berliner Anthropologischen Gesellschaft mit Unterstützung durch die von der Rudolf-Virchow-Stiftung gewährten Mittel ins Werk gesetzte Rethraforschung ist gegenwärtig zu einem vorläufigen Abschlusse und damit zu einem Punkte gelangt, der es rechtfertigen dürfte, über die bisherigen Ergebnisse eine Uebersicht zu geben.
Auf einem Ausfluge einiger Mitglieder obiger Gesellschaft im Sommer 1903 auf mecklenburgischen und uckermärkischen Seen entstand der Plan, die Nachforschungen nach der Stadt und dem Heiligtum der Redarier wieder aufzunehmen.
Im März 1904 trat in Neubrandenburg unter dem Vorsitz von Voß die Rethra-Kommission zusammen. In der konstituierenden Sitzung wurden von ihr zwei für die Forschungsarbeiten
leitende Gesichtspunkte
aufgestellt bzw. anerkannt.
- Daß die von den Chronisten beschriebene Oertlichkeit nur innerhalb des Gebietes des ehemaligen Landes Stargard, dem früheren Raduis, zu suchen sei.
- Daß die Reste der urbs Riedegost bei Thietmars das templum des Redigast Adams sich längst verraten haben und aufgefunden sein würden, wenn sie zu Tage lägen. Die Forschung wird daher ihr Augenmerk besonders auf Gelände richten, die mit Wasser oder neueren alluvialen Anschwemmungen bedeckt sind.
Beide Auffassungen haben durch die Ergebnisse der Forschungsarbeiten Bestätigung erhalten.
Da nun an dem Seengebiet der Lieps und des Tollensesees schon von altersher die Sage haftet, daß es die gesuchte Rethrastelle berge, ohne daß freilich ein positiver Aufschluß gefunden worden war, beschloß die Rethra-Kommission diese Oertlichkeit in erster Linie zu untersuchen, und zwar in derselben mit dem Hanfwerder, einer Insel in der Lieps zu beginnen. Von dieser Insel wurde damals geglaubt, daß auf ihr der Standort des Rhetra-Tempels gewesen sei.
Es sind ja im Laufe der Zeit sehr viele Rethra-Hypothesen aufgestellt und wieder verlassen worden, die meisten wohl in und an dem Seengebiet der Tollense und Lieps.
Bekannt ist ja, daß im ganzen 17. und 18. Jahrhundert Prillwitz als Rethra-Stätte gegolten hat und daß diese von Latomus 1610 aufgestellte Hypothese erst gefallen ist, als im Jahre 1835 die sogenannte Prillwitzer Idole des Gideon Sponholz, die nach dessen Angabe gegen Ende des 17. Jahrhunderts im Pfarrgarten zu Prillwitz von seinem Großonkel, dem Pfarrer Samuel Sponholz, gefunden sein sollten, von Levezow als Fälschungen erkannt und nachgewiesen worden waren.
Nach dieser Zeit ist dann Rethra abwechselnd an verschiedenen Stellen dieser Seenlandschaft vermutet worden, so in Wustrow, auf der Fischerinsel, am Bacherswall, auf dem Hanfwerder usw.
Zunächst wird es erforderlich sein, den Chronisten,
Thietmar, Bischof von Merseburg,
sprechen zu lassen, der den Gegenstand der Forschung am ausführlichsten beschrieben hat. Thietmar war Begleiter des Königs Heinrich II. auf einem Kriegszug gegen die Polen im Jahre 1005. Er berichtet, wie das Heer sich bei Leiskau (südöstlich von Magdeburg) sammelt, vorrückt, daß bei Dobrilugk die Herzöge Heinrich von Bayern und Jaromier von Böhmen mit ihren Heerscharen sich anschließen und daß vor dem Uebergange über die Oder die heidnischen Liutizen als Verbündete zu ihnen stoßen. Thietmar erzählt (nach einer deutschen Uebersetzung des lateinischen Textes):
“Darauf vereinten sich die Liutizen mit den Unsrigen den Tag, bevor man an die Oder kam. Sie folgten ihren Göttern nach, die ihnen vorangingen. Obwohl ich nun fast Abscheu davor empfinde, dieser Heiden zu gedenken, so will ich doch, damit Du, geliebter Leser, ihren eitlen Wahnglauben und den noch nichtigeren Götzendienst dieses Volkes kennen lernst, in kurzem entwickeln, welcher Art sie sind, und woher sie einst in diese Gegend kamen.
Es liegt im Gau Riedierun (der Redarier) eine
Burg namens Riedegost (Rethra)
dreihörnig, drei Tore enthaltend, welche von allen Seiten ein großer, von den Eingeborenen gepflegter und heilig gehaltener Hain umgibt. Zwei dieser Tore stehen jedem in die Stadt Hineingehenden offen, das dritte, welches nach Osten schaut und das kleiner ist, weist hin auf einen Pfad zum Meere, der einen furchtbaren Anblick gewährt. Hier steht nichts als ein künstlich aus Holz gebautes Heiligtum, welches anstatt des Fundamentes die Hörner verschiedener Tiere zur Grundlage hat. Die Außenseiten dieses Heiligtums sind mit verschiedenen Bildern von Göttern und Göttinnen, die, so viel man sehen kann, mit bewundernswerter Kunst in das Holz hineingemeißelt sind, verziert, inwendig aber stehen von Menschenhänden gemachte Standbilder von Götzen, mit ihren Namen am Fußgestell, furchtbar anzuschauen, denn sie stehen da in voller Rüstung mit Helm und Harnisch angetan. Der vornehmste von ihnen heißt Zuarasici und wird von allen Heiden vornehmlich geehrt und angebetet. Hier befinden sich auch ihre Feldzeichen, welche nur im Falle des Bedürfnisses, wenn es zum Kampfe geht, von hier fortgenommen und dann von Fußkämpfern getragen werden.
Um dies alles sorgfältig zu hüten, sind von den Eingeborenen besondere Priester angestellt, welche wenn die Leute hier zusammenkommen, um den Bildern zu opfern und ihren Zorn zu sühnen, allein sitzen bleiben, während die andern stehen. Indem sie dann heimlich untereinander murmeln, graben sie zitternd in die Erde hinein, um vermittels geworfener Lose nach Gewißheit über zweifelhafte Dinge zu forschen. Nachdem dies beendet ist, decken sie die Lose mit grünem Rasen und führen ein Roß, das für das größte von allen gehalten und als heilig von ihnen verehrt wird, mit demütigem Flehen über die Spitzen zweier sich kreuzender in die Erde gesteckter Speere weg, und suchen, nachdem sie vorher die Losung angestellt haben, durch welche sie die Sache vorläufig untersuchten, vermittels dieses als eines gottgeweihten Tieres wiederum nach Vorbedeutung für die Zukunft. Und wenn durch diese beiden Mittel ein gleiches Vorzeichen erfolgte, so handelt man darnach, wo nicht, so wird von den betrübten Eingeborenen die ganze Angelegenheit aufgegeben.
Soviel Gaue es in jenem Lande gibt, soviel Tempel hat man und so viel einzelne Götzenbilder werden von den Ungläubigen verehrt, unter welchen allen die genannte Burg einen ausgezeichneten Vorrang behauptet. Denn diese begrüßen sie, ehe sie in den Kampf eilen, sie ehren sie mit schuldigen Gaben, wenn sie glücklich heimkehren und sorgfältig wird vermittelst der Lose und des Rosses, wie ich es eben geschildert habe, nachgeforscht, welch ein Opfer den Göttern als ein wohlgefälliges von den Priestern darzubringen sei.
Diese Krieger also, welche vormals unsere Knechte, nun ob unserer Gottlosigkeit frei waren, kamen in so greuelvoller Begleitung, dem Könige zu helfen.”
Man wird diesem Bericht leicht ansehen, daß er einen Augenzeugen zum Urheber haben muß. Es ist ja auch wohl sehr wahrscheinlich, daß ein Bündnis zwischen dem christlichen deutschen König und den heidnischen Slaven nicht ohne vorhergehende Verhandlungen und Gesandtschaften zustande kommen kann, daß also Abgesandte der Deutschen in Rethra waren.
Die Wiederauffindung der Oertlichkeit dieses Berichtes ist
der Gegenstand der Rethraforschung,
und zwar kommt es vornehmlich darauf an, folgende von dem Chronisten genannte Objekte oder ihre Reste aufzufinden und nachzuweisen:
1. Die dreihörnige (dreispitzige) Stadt oder Burg (urbs quaedam tricornis)
2. Die drei Tore.
3. Das kleinere Tor, das nach Osten schaut. (quae orientem respicit).
4. Den Pfad am See. (tramitem ad mare juxta positum).
5. Den Platz, wo das Volk zusammen kam.
6. Den Tempel, das fanum oder die Reste, die Stelle, wo er gestanden.
7. Die an dem Tempel als charakteristisch besonders hervorgehobenen Hörner verschiedener Tiere, welche an den Basen der Stiele des Tempels angebracht waren (quod pro basibus diversarum sustentatur cornibus bestiarum).
8. Das heilige Roß.
9. Was von dem einstmaligen Inhalt des Tempels etwa noch vorhanden und aufzufinden sein möchte.
Es war also die Aufgabe der Rethraforschung, die Ueberreste dieser Objekte aufzufinden.
Das Forschungsgebiet
ist die Landschaft zwischen Tollense und Lieps.
Der Hanfwerder
ist eine Insel von ursprünglich ovaler Form und einem Flächeninhalt von ca. 3 Morgen oder 7500 qm. An der Westseite hat eine Verminderung der Fläche durch Abspülung stattgefunden, an der nördlichen und östlichen Seite hat sich eine ausgedehntere Neuverlandung gebildet. Der alte Teil war burgwallartig von Wall und Graben umzogen. Das ehemalige Ufer umgab letzteren in einem gleichmäßigen Abstande von 15 m und war mit einer starken Uferbefestigung aus Rundhölzern mit zwischengesetzten Pfählen und aufgelegten Querhölzern versehen. Diese Uferbefestigung, die ich früher näher beschrieben habe, liegt gegenwärtig in dem Moorboden unter Wasser. Die Funde auf dieser Insel – Scherben, Knochen, eiserne Messer, Waffen usw. entsprechen ganz dem Burgwall-Typus. Die Anlage kennzeichnet sich als ein burgwallartig befestigter Wohnsitz vielleicht eines Knesen, aber nicht als Tempelstätte.
Ich wandte mich nun zu dem
Bacherswall
auf der südlichen Spitze des Nonnenhofes. Mit dem Namen Bacherswall oder Bachuswall wird zurzeit der letzte Rest eines Walles von 1,7 m Höhe, 20 m Breite und ca. 40 m Länge bezeichnet, der, wie die Untersuchung ergab, mit etwa 140 m Länge in gebogener Linie die südliche Spitze des Nonnenhofes landwärts abschloß. Vor diesem Wall ist der an der Landseite vorhanden gewesene Graben noch deutlich erkennbar. Dieser Wall umschloß eine Landfläche von 4 Hektar oder 16 Morgen die gegenwärtig wie der größte Teil des Walles unter Wasser liegt. Der Seegrund ist auf dieser Fläche mit Burgwallresten durchsetzt. Sie sind durch die zerstörende Gewalt der Wellen und des Eises größtenteils zerrieben und gerollt, aber noch unverkennbar. Ich habe im Januar 1905, als kurze Zeit eine tragbare Eisdecke auf der Lieps vorhanden war, die von der wendischen Besiedlung eingenommene Fläche durch zahlreiche Bohrungen mit dem Sackbohrer feststellen können. Sie schneidet bei einer Wassertiefe von 1,5 m rundherum nach dem See zu ab. Dadurch wurde die einstmalige Ausdehnung dieses großen Burgwalles festgestellt. Es wurde an diesem gänzlich überfluteten und verspülten Teile der ehemaligen wendischen Besiedlung zuerst recht klar, daß eine Ueberstauung der Bodenoberfläche der Wendenzeit mit einer Wasserhöhe von 1,5 m Höhe bei mittlerem Wasserstande stattgefunden haben mußte und daß diese Wasserhöhe gerade der Stauhöhe der Vierrademühle in Neubrandenburg entspricht. Dieses Stauwerk ist im Jahre 1287 von Bernward von Raven errichtet worden. Vorher 1248 war die Stadt Neubrandenburg durch Herbord v. R. gegründet worden.
Die Untersuchung der beiden Inseln in der Lieps
Binsenwerder und Kietzwerder,
ergab denselben versunkenen Zustand der intensiven wendischen Besiedlung, wie beim Bacherswall. Die ehemalige Bodenoberfläche des Kietzwerders ist zum Teil mit einer Neuverlandung wieder überdeckt, beim Binsenwerder ist dies nicht der Fall. Von dieser Insel wird nur bei niedrigem Wasserstande eine kleine Fläche zu Tage sichtbar.
Ein alter Tagelöhner in Zippelow erzählte mir, Rethra hätte auf dem Binsenwerder gelegen, es sei versunken, sein Vater habe ihm erzählt, daß er in seinen jüngeren Jahren bei klarem Wasser vom Kahn aus noch die Balken der versunkenen Häuser gesehen habe.
Die Lieps ist ein flacher See. Es konnte möglich sein, daß einstmals von Prillwitz über den Kietzwerder nach dem Bacherswall ein Damm oder eine Brücke als Verkehrsverbindung bestanden haben könnte. Ich habe diese Linie gepeilt und durch Bohrungen untersucht. Es hat sich aber kein Anhalt darüber ergeben, daß eine Verbindung von Prillwitz nach dem Nonnenhof bestanden hätte.
Die Untersuchung von
Prillwitz
selbst ergab ebenfalls ein negatives Resultat. Es sind hier wendische Reste überhaupt nicht vorhanden; zahlreich dagegen sind sie aus dem 14. Jahrhundert durch die bekannten Topfscherben jener Zeit aus grauer, feinkörniger und harter Tonmasse gekennzeichnet. Diese Zeugen reichen aber nicht weiter als bis zum Ende des 13. oder zum Anfang des 14. Jahrhunderts, der Gründungszeit der Burg Prillwitz, unter pommerscher Herrschaft zurück.
“Priulbitz” ist in der Brodaer Stiftungsurkunde von angeblich 1170 unter den Ortschaften in Raduir genannt, es kann aber zu dieser Zeit noch nicht bestanden haben. Nach Boll, Geschichte des Landes Stargard, fehlt in der Bestätigungsurkunde der Brodaer Schenkung von 1182 nicht nur Prillwitz, sondern es fehlen darin auch sämtliche Orte in Raduir, die in der erstgenannten Stiftung aufgeführt sind.
Prillwitz, welches 2 Jahrhunderte lang als Rethraort gegolten hat, nämlich von 1610 bis 1835, hat wendische Reste überhaupt nicht aufzuweisen, auch nicht im Pfarrgarten, wo die Prillwitzer Götzenbilder gefunden sein sollten. Prillwitz war niemals wendisch besiedelt und kann daher auch nicht ein Teil von Rethra gewesen sein. Im Jahre 1292 wurde das Nonnenkloster Wanzka, 1298 die Johanniter-Komthurei Klein-Nemerow gegründet und mit Grundbesitz belehnt. Vielleicht ist die als Fälschung angesehene Brodaer Stiftungsurkunde, die auf 1170 datiert wurde, zu dieser Zeit entstanden, um dem Kloster Broda eine Priorität im Besitz der Landschaft zu verschaffen. Der Abfluß des Wanzkaer Sees heißt noch heute der Nonnenbach, nach einer von ihm getriebenen Mühle, die Nonnenmühle, er mündet in die Tollense beim Nonnenhof.
Der Nonnenhof
ist gegenwärtig das inselartige Landgebilde von noch erkennbar dreieckiger Grundform zwischen den Seen Lieps und Tollense. Seine Untersuchung gab Aufschlüsse über die verschiedenen hydrologischen und geologischen Vorgänge, die bei seiner Gestaltung zu der gegenwärtigen Form gewirkt und ineinander gegriffen haben: Die Ueberflutung der ganzen ehemaligen Landfläche mit Ausnahme von einigen als Durchragungen trocken gebliebenen Horsten, der große Horst, der kleine Horst und der Leinhorst genannt; die Wiederverlandung der flach überstauten vor den Wellen geschützter gelegenen Flächen, die Abspülung von den Wind, Wellen und dem Eisgang ausgesetzten Partien, die Verlandung durch den Sand, den die in die Seen einmündenden Bäche einschleppten. Alle diese Vorgänge haben mit und gegeneinander im Laufe der Jahrhunderte erhebliche geologische Veränderungen hervorgerufen, die zu entwirren sind, wenn man die Gestaltung des Geländes zur Wendenzeit sich vergegenwärtigen will.
Große Flächen liegen noch heute unter offenem Wasser, andere sind mit einer Neuverlandung überdeckt, die nur aus angesammelten Pflanzenresten besteht. An dem ursprünglichen nördlichen Ufer hat sich eine ausgedehnte Sandanschwemmung abgelagert, die durch den wasserreichen Nonnenbach von den Höhen in die Tollense geschleppt und durch die Wellen des Sees längs des Ufers verteilt worden ist. Der Nonnenbach ist der Abfluß des Wanzkaer Sees. Er hat von der Wanzkaer Mühle bis zum Tollensesee eine Länge von 6 km und ein Gefälle von 45 m. Seine im Frühjahr große Wassermenge hat bei diesem starken Gefälle in dem Gelände eine tiefe Schlucht gerissen und die ausgewaschene Erdmasse unten im See abgesetzt, wo die Wellen sie längs des ehemaligen Ufers in der aus dem Plan ersichtlichen Form verteilt haben. Eine andere ausgedehnte Neuverlandung hat an dem nach Wustrow zu gelegenen Ufer des ehemaligen Landgebildes von ausgesprochen dreieckiger Form stattgefunden. Hier in dem gegen die Wirkung der Wellen geschützten flachen Wasser ist eine moorige Landbildung aus Pflanzenresten entstanden. Die alte Uferlinie, zugleich Eigentums- und Landesgrenze zwischen Strelitz und Schwerin, hat sich hier noch in dem sog. Moddergraben erhalten. Die übrigen ehemaligen Uferränder im Westen, Süden und Osten der Insel liegen unter freiem Wasser, und zwar stets da, wo die Wassertiefe 1,5 m bei mittlerem Wasserstande beträgt. Ich habe die Abstände dieser Punkte vom gegenwärtigen Ufer durch Distanzmessung festgestellt und danach die alte Uferlinie in der Lieps und um die Fischerinsel im Tollensesee wieder hergestellt.
Es tritt nunmehr die frühere dreieckige oder dreihörnige (tricornis) Form der Insel vor Errichtung der Neubrandenburger Stauwerke, der Vierrademühle und der Brodaer Mühle deutlich hervor.
Die Ausgrabungen auf Nonnenhof
von etwa 700 Morgen Fläche haben ergeben, daß im Innern auf derselben wendische Besiedlungsreste nicht zu finden, daß sie aber an den Ufern herum wie auch an der Spitze des Bacherswalles reichlich vorhanden sind. Hiernach war die Insel in der Form besiedelt, wie auf dem Plan dargestellt ist. Es wird nicht verkannt werden können, daß so eine dreihörnige Gestaltung der wendischen Besiedelung deutlich hervortritt und daß sie mit der Schilderung des Chronisten: urbs quaedam tricornis übereinstimmt.
Diese Art Stadt hatte in alter Zeit
drei Eingänge,
von denen Ueberreste vorhanden und aufgefunden worden sind. Ein solcher Eingang hat im Osten von Usadel her bestanden. Er kennzeichnet sich durch einen besiedelt gewesenen Vorplatz auf einer Landspitze gegenüber der östlichen Spitze des Dreiecks mit Scherben, Knochen, Kohle, einer im Moor versunkenen Dammschüttung, in der Richtung nach der Dreiecksspitze, Eichenholzstücken usw. Ein zweiter Eingang ist noch erkennbar bei der kleinen Insel “Heidensruh”, an der Westseite der Insel. Hier sind noch einzelne feste Pfähle unter Wasser vorhanden, andere wendische Reste werden hier gefunden. Auch sind hier beim Torfstechen frühere Skelette und Schädel hervorgeholt worden. Von dem dritten Zugang sind erhebliche Ueberreste vorhanden. Von ihm wurden bereits vor einer längeren Reihe von Jahren Teile aufgedeckt. Bei der Ausschachtung eines Kanals für den Steintransport von der Ziegelei Wustrow nach dem Tollensesee wurde eine unter Wasser und Moor liegende
Brücke aus eichenen Hölzern
durchschnitten. Sie wurde natürlich schon damals zu Rethra in Beziehung gebracht, ohne daß jedoch ihre Bedeutung klar erkannt werden konnte. Die Lage dieser Brücke habe ich in ihrer ganzen Länge von ca. 420 m feststellen können. Sie nimmt ihren Anfang am Wustrower Ufer (jetzt Wiesenrand) mit einer kurzen Dammschüttung. An diese schließt sich eine gerade Strecke der Brücke von 200 m Länge mit der Richtung nach Osten. Am Ende dieser Strecke ist eine verbreiterte Stellung von eichenen Pfählen mit liegenden Balken vorhanden, starke eichene Schwellen liegen im Moorboden auf einer Packung von Zweigen. Alle Pfahlköpfe und Langhölzer befinden sich in einer Tiefe von 1 bis 1,5 m unter dem gegenwärtigen Wasserspiegel. Soweit es gelang, mit Ausgrabung und Wasserbewältigung einzelne Holzteile freizulegen, wurde noch festes Eichenholz vorgefunden. Wendische Scherben, Knochen und Kohlen wurden in der genannten Tiefe und tiefer im Moor ausgebohrt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß hier ein Bauwerk, und zwar in nördlich-südlicher Richtung, also mit einer Front nach Osten gestanden hat: Das dritte Tor Thietmars, welches nach Osten schaute, “tertia quae orientem respicit”. Hinter diesem Tor setzt sich die Brücke über Moor und Wasser fort und läßt sich noch 40 m lang verfolgen, dann kommt gegenwärtig im offenen Wasser des Tollensesees noch eine Lücke, aber auf der
Fischerinsel
ist ihre Einmündung aus starken eichenen Pfählen aufgefunden und aufgedeckt worden. Danach geht ihr Lauf vom Tor in sanft geschwungenen Bogen nach der Fischerinsel. Die ganze Länge dieses “trames ad mare juxta positum etc.” Thietmars beträgt 420 m. Das Bild der Fischerinsel zeigt ihre gegenwärtige Gestalt und die alte Form. Diese erscheint als ein schönes Oval mit einer Fläche von etwa 2 Morgen Größe. Sie war mit einer starken Uferbefestigung, ähnlich wie die des Hanfwerders, aus schräg gegen das Wasser geneigten Pfählen und daraufliegenden Querhölzern versehen. Auf der Ostseite ist diese Uferbefestigung gut erhalten, bei ruhigem Wasser vom Kahn aus zu sehen und mit der Sonde auf längere Strecke zu verfolgen. Diese ganze von der Uferbefestigung umschlossene Fläche war mit einem Holzboden befestigt, von dem ausreichend Reste vorhanden sind, um die Konstruktion zu erkennen. Auf einer Packung von geschnittenen Zweigen im Moorboden sind Langhölzer und auf diese Bohlen gelegt. An Stellen, wo der Fußboden noch gut erhalten ist, liegen auf den Bohlen nochmal schwache Rundhölzer und hierauf ist eine Schicht von Steinschlag in Lehm aufgetragen. Diese Fußbodenbefestigung ist zwar an vielen Stellen der Inselfläche stark verwittert und hat Lücken, überall aber stößt man bei Ausgrabungen auf der Insel auf Reste derselben, wenigstens der Langhölzer und auch der rechtwinklig darauf gelagerten Bohlen, beide sind vielfach verschoben, doch scheinen sie früher gleichgerichtet gewesen zu sein, die Langhölzer annähernd nördlich-südlich, die Querhölzer rechtwinklig hierzu. In der Richtung der ersteren mündet die Brücke von Wustrow auf diese Plattform ein. Sie macht den
Eindruck eines großen Versammlungs-Platzes,
wo, wie der Chronist sagt, das Volk zusammenkommt, um den Bildern zu opfern und ihren Zorn zu besänftigen, wo sie die Lose warfen und das heilige Roß über die Speere führten usw.”
In diesem Stadium der Rethraforschung im Juli 1907 geruhten Se. Königl. Hoheit der Großherzog und Ihre Königl. Hoheit die Großherzogin die Forschungsarbeiten Allergnädigst in Augenschein zu nehmen und Allerhöchst ihr Interesse für den Fortgang der Arbeiten zu erkennen zu geben.
An der westlichen Seite des ovalen, mit Hölzern gedielten Platzes der Insel von ca. 2 Morgen Größe, und zwar gerade vor der Mitte dieser Fläche habe ich dann bauliche Reste gefunden, die meiner Ansicht nach nur als
die Reste des Tempels
gedeutet werden können. Hier liegen in einer Längenausdehnung von 13 m starke eichene Hölzer als Längsschwellen im gegenwärtigen Uferrand, und zwar in der gleichen annähernd süd-nördlichen Richtung wie die Langhölzer auf der ovalen Insel. Vor dieser Langschwelle unter dem Seegrund sind vereinzelte starke Pfähle und vor ihrem südlichen Ende ist ein gut erhaltener hölzerner Fußboden auf eine Fläche von 25 qm freigelegt worden. Von der Schwelle aus und rechtwinklig zu dieser in den See hinein sind Reste mehrerer Wände vorhanden. Ihre Bauweise läßt sich noch erkennen. Es waren zugespitzte Pfähle in den Boden eingetrieben und zwar doppelreihig, diese Pfahlreihen waren mit Zweigen durchflochten und die Hohlräume waren mit Lehm ausgefüllt. Man erkennt dies an noch vorhandenen Pfahlspitzen und an den bekannten Abdrücken der Zweige in den durch den Brand gehärteten Lehmstücken, die zahlreich da liegen, wo eine Wand gewesen ist. Kohle und halbverbrannte Holzstücke sind in Menge vorhanden, so daß darüber, daß ein größeres Bauwerk hier durch Brand zerstört worden ist, ein Zweifel nicht bestehen kann. Querwände, die besondere Räume abteilten, konnte ich drei erkennen. In einem dieser Räume fand ich das
Skelett eines Pferdes,
und zwar konnte ich den Schädel mit den Zähnen und die Halswirbel mit diesem im Zusammenhange aufdecken und herausnehmen, Daß Roß lag so, daß der Kopf nach dem Lande zu zeigte. Die Knochen des Rumpfes müssen noch seewärts unter dem Seegrunde liegen. Ich möchte darauf hinweisen, daß es schwierig und nur mit Wasserbewältigung möglich ist, fast 1 m tief unter Wasser etwas auszugraben. An dem Schädel des Pferdes läßt sich erkennen, daß es einer kleinen Rasse angehörte, daß es ein Hengst und noch ein junges Tier war. Es hat noch die Hakenzähne. Neben dem Raum, in dem das Pferdeskelett lag, liegt in einer anderen Abteilung eine etwa ein halbes Meter starke Schicht nur von Pflanzenresten, oben ist diese einen Spatenstich tief ein feiner schwarzer Schlamm, darunter sind die Pflanzenreste noch besser erhalten und erkennbar. Ich glaube, daß es sich um
Reste des Futtervorrates
für das Roß handelt. Dies wird noch geprüft werden können. Wenn meine Annahme Bestätigung findet, wird der Befund beweisen, daß das Roß auf der Insel ständig war und dort erhalten worden ist.
Wenn nun hier die Tempelstätte war, müßte auch von den
Hörnern,
von denen der Chronist berichtet: “quod pro basibus diversarum sustextatur cornibus bestiarum”, an dieser Stelle Reste gefunden werden. Diese Stelle des Textes ist verschieden übersetzt und gedeutet worden. Ich hatte zunächst angenommen und habe dies auch in meinen Berichten über den Fortgang der Rethraforschungsarbeiten ausgeführt, daß die Hörner im Fundament des Tempelbaues zur Herstellung der Tragfähigkeit des Moorbodens verwendet worden und daher im Boden in gut erhaltenem Zustande noch vorzufinden sein müßten. Ich habe danach mit dem Bohrer gesucht, aber nichts gefunden. Dann hat mich Prof. Beltz-Schwerin belehrt, daß pro basibus nicht pro fundamento bedeuten könne. Sind aber die Basen der Säulen des Tempelbaues zu ihrer Unterstützung mit den Hörnern bekleidet gewesen, dann sind sie mit dem Holz der Stiele und Wände des Tempels verbrannt oder durch Feuer zersprengt und können nur als Teile und Stücke wieder aufgefunden werden.
Dies ist nun in der Tat der Fall. Da in dem schwarzen Schlamm, der ausgebohrt oder ausgegraben wird, eingeschlossene kleinere Gegenstände mit dem Auge nicht erkennbar sind, habe ich eine Sieb- und Waschvorrichtung hergestellt und einige Karren voll an der bezeichneten Stelle ausgebaggertem Boden ausgewaschen und ausgesiebt. Da habe ich nun unter den Scherben Kohlen, Knochen,
Eisenteile, kleine Hornstücke,
Sprengstücke, großenteils vom Wasser gerollt und formlos in ausreichenden Mengen gefunden. Dies spricht natürlich auch sehr dafür, daß man hier wirklich an der Tempelstätte Rethras angelangt ist. Weitere Ausgrabungen müßten zutage fördern, was von den Resten des Tempelbaues sonst noch vorhanden ist. Nach meinen Erfahrungen wird es nicht sehr viel sein können. So reichlich Reste an Holzteilen und Kohlen, an Tierknochen, Topfscherben, Eisenteilen usw. gefunden werden, so wird man von dem einstmaligen wertvollen Inhalt des Tempels kaum noch etwas an diesem Ort erwarten dürfen. Menschliche Schädel oder menschliche Skelette sind auf der Fischerinsel nicht gefunden worden, Waffen nur sparsam. Es hängt dies wohl mit dem Hergang bei der Zerstörung und Niederbrennung des Tempelheiligtumes zusammen.
Als
allgemeine Ergebnisse der Rethraforschung
möchte ich folgende bezeichnen.
1. Die Oertlichkeit, die der Chronist Thietmar von Merseburg beschrieben hat, ist im ganzen und in allen Einzelheiten aufgefunden und nachgewiesen worden.
2. Der genannte Chronist hat offenbar nach den Angaben eines Augenzeugen wahrheitsgemäß berichtet.
3. Rethra kann nicht im Kampf zerstört worden sein. Das Heiligtum ist von den zum Christentum bekehrten Redariern verlassen, ausgeräumt und von ihnen selbst niedergebrannt worden.
(Für diese Auffassung kann man sich auch auf die Erlebnisse des Apostels der Pommern, des Bischofs Otto von Bamberg, auf seinen beiden Bekehrungsreisen 1124 und 1128 in Pommern berufen, die von dem Mönch Herbord so anschaulich beschrieben sind. Dieser erzählt, wie die Pommern in Pyritz, Cammin, Wollin, Stettin, Demmin, Gützkow usw. bekehrt wurden und wie ihre Tempel, nachdem sie bekehrt waren, von ihnen selbst oder mit ihrer Beihilfe zerstört wurden. 1128 war Otto von Bamberg in Demmin. Der Herzog Wratislaw von Pommern, bekriegte zurzeit die noch heidnischen Redarier. Otto von Bamberg sah bei Demmin von weitem brennende Dörfer der Redarier. Bekanntlich war Radnir bis zum Jahre 1236 der Schlacht am Kremmer Damm im Besitz der Pommernherzöge und ging dann an die Mark Brandenburg über. Das Kloster Broda war von dem Pommernherzog gegründet worden, ebenso die Burg Prillwitz.
4. Die im Volke lebendige Sage, daß die Rethra-Götzenbilder aus dem Tempel verschleppt und im Blankenburgs-Teiche versenkt seien, erhält durch den negativen Befund auf der Fischerinsel eine gewisse Unterstützung.
5. Für die Beurteilung der Art der wendischen Kultur ist ein fester Punkt auf nunmehr historischer Grundlage gewonnen.
6. Ein wichtiges Ergebnis der Rethraforschung liegt auf anderem Gebiet, kann aber auf die weitere Erforschung vom günstigsten Einfluß werden. Die Rethraarbeiten haben zu der Erkenntnis geführt, daß durch Niederlegung des Stauwerkes der Mühle in Neubrandenburg und der damit erzeugten Spiegelsenkung der Seen eine große und wertvolle Melioration ausgedehnter Liegenschaften erzielt werden würde. Es ist also Aussicht vorhanden, daß, wenn dies früher oder später geschieht, auch Rethra aus den Fluten wieder emportauchen und der weiteren Untersuchung und Sammlung seiner Reste in der bequemsten Weise sich darbieten wird.
Gustav Oesten: Die Ergebnisse der Rethraforschung, Sonderdruck der Landeszeitung für beide Mecklenburg in Neustrelitz, Neustrelitz 1912
Digitalisiert durch: rethra.wordpress.com