Gustav Oesten: Über neue Untersuchungen in dem Lande der Redarier (1884)


Gustav Oesten: Über neue Untersuchungen in dem Lande der Redarier (PDF)

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(14) Hr. Oesten berichtet über neue Untersuchungen in dem Lande der Redarier.

Im südlichen Theile von Meklenburg-Strelitz, 1 km nördlich von der Ortschaft Düsterförde und etwa 2 km nördlich von der Haltestelle der Nordbahn gleichen Namens, findet man versteckt in der nach allen Richtungen ausgedehnten Kiefernwaldung zwischen dem Drewen und dem Godendorfer See einen alten Wall mit Seitengräben, der in gerader Linie von Westen nach Osten quer über eine Terrain-Anschwellung zwischen den beiden genannten Seen läuft und 1,5-2 m hoch ist. Dieser Wall ist auf der kürzlich erschienenen neuen Generalstabsaufnahme 1 : 25 000 als „alte Schanze“ verzeichnet und benannt. Derselbe zeigt im Profil Uebereinstimmung mit den wendischen Burgwällen dieser Gegend und hat eine Länge von 500 m. Man erkennt bei näherer Besichtigung, dass er, wie jene, als Unterbau für eine fortlaufende Pallisadenbefestigung gedient haben muss, dass er aber für sich allein ein Befestigungswerk nicht gebildet haben kann, da er allein nichts umschliesst, vielmehr das Land vor und hinter ihm frei daliegt. Das Vorhandensein dieses alten Bauwerks erscheint daher zunächst räthselhaft. Das Räthsel löst sich aber, und zugleich gewinnt der Wall anscheinend eine besondere Bedeutung, wenn man ihn im Zusammenhange mit den vorhandenen starken natürlichen Terrainabgrenzungen betrachtet und erkennt, dass er nur das Schlussglied eines ausgedehnten natürlichen Grenzzuges bilden kann.
Folgen wir zunächst diesem natürlichen Grenzzuge.
An seinem westlichen Ende stösst der Wall an den kleinen Quellsee „der Streifling“, welcher durch einen tiefen Graben in den kleinen Drewensee entwässert, der wiederum mit dem sich lang nach Westen hin erstreckenden grossen Drewensee in Verbindung steht. Dieser bildet an seinem westlichen Ende die Halbinsel Ahrensberg, deren einstige Befestigung durch Graben und Wall an der Landseite noch deutlich erkennbar ist und welche die Spuren alter wendischer Besiedlung schon bei flüchtiger Besichtigung verräth.
Von hier wird die natürliche Abgrenzung in westlicher und nordwestlicher Richtung weiter durch die in tiefem und zum Theil sumpfigem Thal liegende Havel gebildet, an der man aufwärts in den Woblitzsee gelangt, den See „Woblescu“ der Brodaer Stiftungsurkunde. Aus dieser kennen wir ihn als Grenze des Landes Raduir, welche sich von hier aus die Havel aufwärts bis zur Gegend ihres Ursprungs zog. Ebenso lässt sich bekanntlich aus der Brodaer Urkunde M.U.B No. 95 1170 die Grenze des Landes Raduir von hier aus weiter bis an die Lieps durch dieselbe und den See und Fluss Tollense bis „Podulin“, jetzt Podewall, verfolgen, entsprechend der gegenwärtigen Landesgrenze zwischen Meklenburg-Strelitz und Schwerin.
Im Osten stösst der Düsterförder Wall an den Godendorfer See. Folgt man von hier dem vorliegenden, durch Gewässer gebildeten, natürlichen Grenzzuge, so gelangt man dem Abflusse des Sees entlang durch ein tief eingeschnittenes Thal in den Schlie- und Säger-See, den Schwaberow und in südöstlicher Richtung in den Thymen- und den Schwedt-See; von hier führt die Balen-Havel in den Stolp-See, bei Himmelpfort gelangt man in den Haus-See und in immer mehr nordöstliche Richtung übergehend durch den Woblitzbach in den Lychenschen Seen-Complex und durch den Cüstrin-Bach in den Cüstrin-See. In diesen mündet der starke Abfluss der Carwitzer und Feldberger Seen, den aufwärts verfolgend man in den grossen und kleinen Mechow und schliesslich in den Crüselin-See gelangt. Hier erst zwischen Crüselin- und Dreetz-See ist die fortlaufende Seen-Kette wieder durch eine Landenge unterbrochen. Zugleich sind wir aber auch hier an dem Anfange oder Ende des räthselhaften Grenzzuges, der nach den Grenzprotocollen von Erasmus Behm 1556 bez. 1564 und Tilemann Stella 1578 zu so vielen Grenzstreitigkeiten zwischen Meklenburg und Brandenburg Veranlassung gegeben hat und der auf dieser Landenge durch einen doppelten Graben mit Wall gebildet war, wie der Wall bei Düsterförde, und von beiden als „alter Grenzwall“ bezeichnet wird. An denselben
schliessen sich Dreetz- und Carwitzer See (Xantes), zwischen diesem und dem Mellen-See liegt die „Iserne Porte“, vergl. Zeitschrift für Ethnologie 1881 S. 277 und 37. Band der mecklenburgischen Jahrbücher, Beyer: das Heiligthum Conow mit Karte von Tilemann Stella.
Kehren wir nun nochmal nach Düsterförde zurück. Hier befindet sich 1,5 km westlich von der Eisenbahn-Haltestelle ein zweiter Wall mit Gräben von der gleichen Bauart, wie der erstgenannte. Derselbe sperrt den einzigen natürlichen Zugang zu dem sogenannten Wildhof (vgl. die Abbild.). Der „Wildhof“ mit dem sogenannten grossen und kleinen Grahl (!) ist eine ausgedehnte, vollständig bewaldete Halbinsel, die nur an der bezeichneten Stelle mit dem Festlande zusammenhängt, im Uebrigen vom Drewen- und Wangnitz-See, sowie von der Havel mit dem Finow-See vollständig umschlossen ist und daher eine starke natürliche Festung bildet. Sie liegt, wie auf der Situationsskizze ersichtlich, so, dass sie die Flanke des Passes von Düsterförde deckt, wodurch die Befestigung desselben erheblich verstärkt wird. Dieser Pass bildet übrigens auch den Uebergang der modernen Strassen von Süden in das nördlich gelegene Land. Die alte Landstrasse Berlin-Neustrelitz überschreitet denselben da, wo auch der vorhistorische Eingang sich befindet, am Ufer des Streifling; die Chaussee hat den Graben vom Streifling nach dem kleinen Drewen mittelst einer Brücke und die Nordbahn die Enge zwischen kleinem und grossem Drewen mittelst Schüttung und Durchlass übersetzt. Alle drei aber haben sich auf die vorhandene natürliche Eingangspforte angewiesen gesehen.
Vergleicht man die Lage des dargelegten alten Grenzzuges mit der der gegenwärtigen Landesgrenze des Grossherzogthums Meklenburg-Strelitz, so sieht man, dass beide im Westen und Osten zusammentreffen, dass aber durch ersteren von diesem die Bezirke von Mirow, Wesenberg und Fürstenberg abgetrennt werden, ihm dagegen das Land Lychen zugelegt wird. Nun ist aber bekannt (Rudloff, pragmatisches Handbuch der Mecklenburgischen Geschichte; Boll, Geschichte des Landes Stargardt u.s.w.), dass im dreizehnten Jahrhundert die Johanniter-Comthurei Mirow und das Gebiet von Wesenberg nicht zum Lande Stargardt bezw. Raduir, sondern zum rezenischen Gau Turne gehörten und Fürstenberg ebenfalls erst später von der Mark an das Land Stargardt gelangt ist (M.U. 7086. 1350 den 23. Juni), dass dagegen Lychen demselben ursprünglich angehört hat. Die Stadt Lychen ist als Stadt im Lande Stargardt 1248 durch Johann, Markgrafen von Brandenburg, gegründet worden (M.U. 601. 1248 23. Januar). Die alte Grenze des Landes Stargardt, des Raduir oder Gau Ridere, kann daher von dem vorstehend nachgewiesenen Grenzzuge kaum wesentlich abgewichen sein.
Bemerkenswerth an demselben und sicherlich nicht zufällig erscheinen auch die Namen ausgeprägter Uebergangspunkte wie: Eiser-Pforte bei Wustrow, Blankenförde (Blankenvort 1256), Düsterförde, Himmelpfort (Celiporta 1299, Hemelporte 1319), Iserne Porte bei Carwitz.
Im XXXVII. Bande der meklenburgischen Jahrbücher weist Beyer die Grenzen des Redarier Landes im Westen von der Tolense an nach Norden, hier und im Osten bis zu den Feldberger Seen als wesentlich in Uebereinstimmung mit denen des jetzigen Meklenburg-Strelitz nach. Von hier an kommt er in Folge irriger topographischer Voraussetzungen und weil er in Carwitz bezw. dem Hilgenwerder im Zansen das Nationalheiligthum der Ukrer zu finden und daher dies ausschliessen zu müssen glaubt, in eine falsche Richtung. Leider hat er die Oertlichkeit selbst nicht gesehen und ein zuverlässiges Kartenmaterial nicht zur Verfügung gehabt, was bei seiner umfassenden Kenntnis des Urkundenmaterials doppelt zu bedauern ist. Er nimmt als Grenze des Redarierlandes eine natürliche Wasserverbindung zwischen den Feldberger Seen und dem Dolgen-See an, die nicht existirt, wo sich vielmehr eine hohe und breite Wasserscheide befindet, und folgt dem Abflusse des Dolgener Sees als der vermeintlichen Grenze, wobei er in der Annahme irrt, dass Grünow, das er ausdrücklich zu Stargardt rechnet, auf dem rechten Ufer desselben liege. Er bekennt auch, dass die ausserhalb dieser Grenze belegene Comthurei Gardow sich zu Stargardt gerechnet habe. Er lässt ferner irrthümlich den Godendorfer See in den Drewen abfliessen. Den Düsterförder Wall kennt Beyer nicht, dagegen den Wall zwischen Dreetz und Crüselin-See, den er nach Erasmus Behm beschreibt, aber als Grenzwall nicht gelten lassen kann, weil er als solcher seine Hypothese vom Heiligthum Conow zerstören musste. Würde Beyer diesem Grenzwall gefolgt sein, so würde er auf dem von mir bezeichneten natürlichen Grenzzuge nach dem Godendorfer und Drewen-See gelangt sein, von wo an er ebenfalls die Havel aufwärts als Grenze annimmt.
Wird die Bedeutung und der Charakter der bisher nicht bekannten Dürsterförder Wallanlagen als alte Landwehren, sowie ihre Zusammengehörigkeit, einerseits durch die bezeichnete Seenkette mit dem 1556 64 u.s.w. beschriebenen Wall zwischen Crüselin- und Dreetz-See, der Iser Purt und dem von hier nordwärts in den Grenzprotocollen von Erasmus Behm und Tilemann Stella beschriebenen alten Grenzzuge, andererseits mit dem See „Woblescu“ und der aus der Brodaer Stiftungsurkunde hervorgehenden Westgrenze des Landes Raduir anerkannt und durch weitere Untersuchungen bestätigt, so wird die Süd- und Ostgrenze des Raduir oder Gau Ridere zweifellos gefunden und das Terrain, in welchem allein das Heiligthum Rethra gesucht werden darf, klar abgegrenzt sein. Die Punkte, die innerhalb dieses Gebiets ihrer äusseren hydrographischen Gestaltung nach hierbei in Frage kommen können und deren wendische Besiedlungsreste einer näheren Untersuchung hierauf zu unterziehen sind, lassen sich alsdann an den Fingern herzählen. Der Spaten oder vielleicht die Baggerschaufel wird zwischen ihnen zu entscheiden und das letzte Wort zu sprechen haben.
Gegenüber den, wie es scheint, noch nicht aufgegebenen Versuchen, Rethra wo anders als hier zu suchen, möge es mir gestattet sein, diejenigen Urkunden des Meklenburgischen Urkundenbuches anzuführen, welche Identität bezw. Zusammenhang des von den alten Chronisten Thietmar und Adam beschriebenen Gaues der Redarier mit dem Radwer, Raduir, Lande Stargardt unzweifelhaft machen und daher jede Möglichkeit ausschliessen dürften, Rethra in eine andere Landschaft als diese verlegen zu können.

M.U. 13. 936 Oct. 14. Magdeburg.
Otto, deutscher König, stellt dem Kloster Fulda auf Bitten des Abtes Hathumar einen Schirmbrief aus:
…. de provintia Slavorum qui vocuntur Riaderi …

M.U. 14. 946 Mai 9. Magdeburg.
Otto, deutscher König, stellt dem Bisthum Havelberg den Stiftungsbrief aus:
…. decimam tributi, que solvitur nobis de Radewer decimam etiam tributi, que nobis debetur de inferiori marchia ….

M.U. 16. 965 Juni 27. Magdeburg.
Otto, römischer Kaiser, schenkt den Zehnten des Silberzinses, welcher ihm von den Ucranern, Riederern, Tolesanern und Zerezepanern geliefert wird, der St. Moritz-Kirche zu Magdeburg:
…. nobis Slavorum nationibus, videlicet Ucranis Riezani, Riederi Tolensane,Zerezepani …..

M.U. 18. 968 Jan. 18. Bei Capua.
Otto, römischer Kaiser, benachrichtigt die Herzöge und die übrigen Beamten in Sachsen von dem Stande seiner Angelegenheiten in Italien und fordert sie auf die Redarier zu vernichten:
…. Praeterea volumus, ut, si Redares sicut audivimus ….

M.U. 19. 973 Juni 3. Magdeburg.
Otto, römischer Kaiser, bestätigt der St. Moritz-Kirche zu Magdeburg ihre Güter und auch den Zehnten des Silberzinses aus den Landschaften der Ucraner, Rezener, Riederer, Tolensaner und Zirzipaner:
… de provinciis Slavorum: Ucrani, Rezeni, Riedere, Tolensani, Zirzipani ….

M.U. 20. 975 Sept. 9. Allstedt.
Otto, römischer Kaiser, schenkt der St. Moritz-Kirche zu Magdeburg den Zehnten des Silberzinses aus den Landschaften der Ucraner, Ritzaner, Riederer, Tolesaner und Zerezpaner zur Unterhaltung der Lichter und zur Anschaffung des Räucherweks:
…. nobis Slavorum nationibus, videlicet: Ucranis, Ritzani, Riedere, Tolensate, Zerezpan …

M.U. 52. 1150 Dec. 3. Würzburg.
Konrad, römischer König bestätigt das Bisthum Havelberg:
…. et decimam tributi, quod nobis solvitur de Rederi et decimam tocius tributi, quod nobis de inferiori marcha solvetur ….

M.U. 95. 1170 August 16. Havelberg (Brodaer Stiftungsurkunde).
Kasimar, Fürst von Pommern, schenkt dem Domstift Havelberg den Ort Broda mit vielen anderen Gütern zur Stiftung eines Klosters:
…. Wustrowe castrum cum villa. In Raduir: Podulin, Tribinowe….
Stargardt et Lipiz cum omnibus villis suis usque in stagnum Woblesko …..

M.U. 130. 1179 Juni 29. Magdeburg.
Friedrich, römischer Kaiser, bestätigt das Bisthum Havelberg:
….
Et decimam tributi, quod nobis solvitur de Radwere, et decimam tocius tributi, quod nobis de inferiori marcha solvetur …..

M.U. 563. 1244 Mai 27. Demmin.
Barnim und Wratislaw, Herzöge von Pommern, bestätigen auf Grund der Stiftungsurkunde die Besitzungen und Rechte des Klosters Broda:
….
In Radur: Podulino, Tribinov …. Stargard, Lipetz, cum omnibus villis usque in stagnum Woblescu ….

Oesten, Gustav: Über neue Untersuchungen in dem Lande der Redarier, in: Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang 16, 1884 Sitzung am 15. November 1884 S. 492-496

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