Gustav Oesten: Bericht über den Fortgang der Rethra-Forschung (1906) (PDF)
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(8) Hr. G. Oesten erstattet
Bericht über den Fortgang der Rethra-Forschung.
Die Bodenuntersuchung auf der Ostseite des Nonnenhofes, der Niederung zwischen den beiden Seen Lieps und Tollense, dem Moddergraben auf der West- und dem Nonnen- und Wiedbach auf der Ostseite, hatte, wie ich am Schlusse meines vorjährigen Berichtes mitteilen konnte, ergeben, dass dieses sumpfige inselartige Land in alter Begrenzung nach Osten in eine Spitze ausläuft, so dass eine dreispitzige oder dreihörnige Gestalt der zur Wendenzeit besiedlungsfähigen und besiedelt gewesenen Landfläche deutlich hervortritt. Diese hat einen Flächeninhalt von ungefähr 500 Morgen. Das nordöstlich der Linie f g in der Kartenskizze Fig. 1 S. 893 der Zeitschrift 1905 liegende tief sumpfige Wiesenland ist als neuere Verlandung zu erkennen. Ihre Bildung erscheint durch das Zusammenwirken des Pflanzenwuchses mit der aufschlemmenden Tätigkeit des Nonnenbaches wie der Wellen der Tollense entstanden.
In diesem Jahre habe ich einen weiteren Punkt der alten Uferbegrenzung in der nach der Fischerinsel zu gerichteten gekrümmten Linie f g, nahe der Ausmündung des alten oder Fischergrabens in die Tollense aufgefunden, so dass die Fischerinsel als in der Fortsetzung der nach Norden gerichteten Spitze der dreieckigen Hauptinsel liegend erscheint, ohne jedoch mit dieser in fester Landverbindung gestanden zu haben.
Um nun zu ermitteln, ob vom Festlande aus nach der östlichen Spitze der dreieckigen Insel ein Zugang vorhanden gewesen ist, habe ich den für solchen Zweck von Natur günstigsten Ausgangspunkt am Rande des festen Landes ausgesucht und als solchen eine in das Sumpfland vorspringende Ecke des Ackerlandes auf der Feldmark Usadel gefunden. Der Abstand von diesem Vorsprunge nach der gegenüberliegenden Nonnenhofspitze beträgt etwa 180 m und ist der kürzeste zwischen den beiden durch tiefes Sumpfland getrennten Gebieten. Auf dem Landvorsprunge der Usadeler Seite nun wurden auf einer Fläche von etwa zwei Morgen Grösse zahlreich Knochen, wendische Scherben und vereinzelte Kohlenstücke bis zu einer Tiefe von 0,5 m im Boden gefunden und zwar nach der äussersten Spitze zu in zunehmender Anzahl; vor letzterer im Wiesenterrain auch einzelne Stückchen Eichenholz und Späne. Der Platz macht, wie die vor den beiden Eingängen in das Inselterrain auf seiner Westseite, ganz den Eindruck eines Lagerplatzes vor dem Tore. Durch die Untersuchung des Wiesengeländes zwischen diesem Punkte und der Insel mit Sonden wurde ermittelt, dass sich von beiden Seiten Sandschüttungen in einer Breite von 8 – 10 m in das Sumpfland hinein erstrecken. Sie liegen mit ihrer Oberfläche etwa 1 m unter dem gegenwärtigen Wasserspiegel und sind etwa 0,5 m stark. Sie lassen sich mit der Sonde durchstechen. Darunter lagert wieder Moorboden von etwas festerer Beschaffenheit als der obere. Diese Sandschüttungen machen den Eindruck, als wenn sie zur Herstellung eines festen Weges auf dem älteren Moor aufgetragen worden seien. Sie erscheinen streckenweise etwas verwaschen oder verspült, was nicht Wunder nehmen kann, wenn man beachtet, dass sie nach der Erhöhung des Wasserstandes etwa 1 m unter Wasser gelegen haben und dem Spiel der Wellen so lange ausgesetzt waren, bis die neue Verlandung sie bedeckte. Die beiden Wegeschüttungen in das Moor hinein stehen sich einander nicht genau gegenüber, haben vielmehr eine etwas versetzte Lage gegeneinander. Zwischen ihren Endpunkten bleibt ein freier Zwischenraum von 50-60 m Weite. In diesem ist eine Schüttung von festerem Material nicht zu spüren. Hier war allem Anschein nach in alter Zeit noch freie Wasserfläche, welche überbrückt gewesen sein mag. Reste einer Brücke habe ich bis jetzt nicht aufgefunden. Es wird dies Gegenstand weiterer Nachforschung sein müssen.
Jedenfalls hat an dieser Stelle ein Eingang vom festen Lande her in das Inselterrain bestanden und zwar konnte von Osten her solcher auch nur an diesem einen Punkte ausführbar erscheinen.
Da nun von Westen her ein zweiter Eingang in das wendisch besiedelte, unzweifelhaft dreihörnige Inselgebiet südlich von Wustrow bei „Heidensruh“ und ein dritter für die Fischerinsel als der äussersten Spitze des nordwärts gerichteten Zipfels nachgewiesen sind, weitere Zugänge aber einmal nicht erforderlich, dann aber auch nicht gut ausführbar waren, Spuren davon auch nicht vorhanden sind, so liegt hier sicher ein dreihörniges, wendisch besiedeltes Landgebilde mit drei Zugängen vor, welches der Beschreibung Thietmars „urbs quaedam tricornis ac tres in se continens portas“ ganz entspricht.
Nach meinem vorjährigen Bericht war beabsichtigt, den unter freiem Wasser liegenden Teil der alten Fischerinsel im Winter von der Eisdecke aus näher zu untersuchen. Dieses Vorhaben konnte nicht ausgeführt werden, weil der Winter so milde verlief, dass der See an keinem Tage eine tragfähige Eisdecke darbot. Ich habe daher im Frühjahr ein schwimmendes Floss auf Tonnen als geeignetes Podium zum Sondieren und Bohren im Seegrunde herstellen lassen und mit Erfolg zu diesem Zweck benutzt. Mit Hilfe dieses Gerätes ist festgestellt worden, dass die Gestalt und Grösse der Insel bei dem niedrigeren Wasserstande der Wendenzeit nach Norden zu erheblich ausgedehnter waren als der gegenwärtige Bestand. Auf einer unter Wasser liegenden ehemaligen Bodenoberfläche, welche sich bei einer Breite von 30-40 m etwa 150 m weit von der gegenwärtigen Insel ab nach Norden erstreckt (Fig. 2) lagern wendische Kultrurreste auf dem Seegrund und in demselben bis zu 1 m Tiefe; in den oberen Schichten durch Eis und Wellen stark zerkleinert und abgerollt, in grösserer Tiefe besser erhalten. Dagegen ist die Ausdehnung der Insel nach Süden, nach dem Lande zu, früher geringer gewesen als jetzt. Die auf dem Plan der Insel (Fig. 1) sichtbare schwanzförmige Verlängerung des Inselkörpers nach Süden zu, ist Neuverlandung, welche sich abseits der anstürmenden Wellen und Winde am geschützt liegenden Ende der Insel gebildet hat, sich fortwährend bildet, zeitweise aber auch durch starke Wasserströmungen wieder abgerissen und als schwimmende Inselstücke fortgeführt wird, wie an dieser Stelle vor einigen Jahren geschehen ist.
Wenn man den Grundriss des gegenwärtigen Landkörpers der Insel betrachtet (Fig. 1), so sieht man, wie zernagt von den Wellen die Umrisse sind. Die Vorsprünge, welche man namentlich am Ufer des nördlichen Teils der Insel bemerkt, welche mit ausgespülten Einbuchtungen abwechseln, sind gegenwärtig mit alten und starken Bäumen besetzt, deren Wurzeln den Erdkörper, den sie umfassen und durchdringen, gegen die abspülende Tätigkeit der Wellen schützen, so lange als sie selbst bestehen, während zwischen ihnen Wasser und Eis tief einspringende Einbuchtungen auskolken.
Die Erdoberfläche der Insel zur Wendenzeit liegt durchweg 0,5-1 m unter dem gegenwärtigen Wasserspiegel, sie konnte nach der Erhöhung des letzteren zunächst nur eine Untiefe im See bilden. Dass auf einem Teil derselben eine neue Verlandung überhaupt wieder entstehen und dass diese sich erhalten konnte, ist, neben der kräftigen Vegetation der Wasserpflanzen, besonderen Umständen zu danken. In erster Linie der starken Befestigung der alten Bodenfläche durch meistens eichene Lang- und Querhölzer, welche durch zwischen ihnen eingesetzte Pfähle gegen Verschiebung gesichert waren, durch eine starke alte Uferbefestigung aus Eichenholz und besonders auch durch künstliche Bodenanschüttungen, die zu verschiedenen Zeiten namentlich in der Umgebung des Fischerhauses und an den Uferrändern des nördlichen Teiles der Insel in erheblichem Maasse aufgetragen sind und sich dort vorfinden. Diese Erdanschüttungen haben namentlich das Wachstum starker Weiden, Schwarzpappeln und Eschen ermöglicht und diese sind es, welche gegenwärtig den Rest der Insel einigermassen schützen.
Die Art der Befestigung des Fussbodens der Insel habe ich in meinem vorjährigen Bericht bereits beschrieben. Die zahlreichen Aufgrabungen auf der gegenwärtigen Insel, deren Anzahl und Lage auf der Abbildung Fig.1 als kleine schwarze Flächen angegeben ist, sowie Bohrungen im Wasser in der Nähe der Insel, haben nun folgende Resultate ergeben:
Die Überreste der alten Fussbodenbefestigung durch Lang- und Querhölzer auf einer Packung von Zweigen erstrecken sich über eine Fläche von ovaler Form, deren Umfang ungefähr (Fig. 1) durch die punktierte Linie a b c d angedeutet worden ist. Eine scharfe Abgrenzung desselben ist bis jetzt nicht angegeben, wohl auch nicht mehr vorhanden. An der Ostseite aber ist in grösserer Ausdehnung die alte Uferbefestigung entdeckt worden, deren ungefähre Lage die Linie f g bezeichnet. Eine genaue Aufmessung derselben kann zweckmässiger Weise erst bei vorhandener Eisdecke geschehen. Von dieser Uferbefestigung sind im klaren Wasser eine ganze Anzahl eichener Hölzer sichtbar, welche etwa 0,8 m unter dem Wasserspiegel dieses Herbstes mit ihren Kopfenden aus dem angespülten Seegrunde hervorragen und in diesem auf der ehemaligen Uferböschung eingebettet liegen. Zweck und Bedeutung dieser mit flacher Steigung gegen die Insel geneigt liegenden Hölzer als Uferbefestigung ist zweifellos. Seewärts von ihnen hören auch die Überreste der ehemaligen Besiedelung auf. Auf der Westseite der Insel sind die Hölzer der einstmaligen Uferbefestigung noch nicht aufgesucht. Nach der Aussage der Fischer sollen sie hier auch vorhanden sein.
Die hölzerne Fussboden-Dielung ist zwar an vielen Stellen lückenhaft. Bei manchen Aufgrabungen fand sich von derselben nur noch eine weiche, völlig vermoderte holzartige Masse vor, welche beim Aufgraben vom Spaten durchstochen wurde; an andern Stellen liegen Hölzer mehrfach ungeordnet und sichtlich verschoben übereinander, überall aber sind unter den Hölzern im Torf die Reste der Packung aus Reisern wahrzunehmen. Eine andere Wahrnehmung, welche bei den Aufgrabungen gemacht wurde, ist die auffallende Tatsache, dass die bei weitem grösste Mehrzahl der Lang- und Querhölzer auf der ganzen Insel in ihrer Lage zwei Himmelsrichtungen einhalten, nämlich die auf der Abbildung Fig. 1 durch die Linie x y bezeichnete und die senkrechte hierzu. Ich steckte daher ungefähr aus der Mitte der Insel heraus diese Richtungslinie x y ab und verlängerte sie bis zu dem Punkte z, wo die Linie die Insel nach Südosten hin verlässt.
Als ich an dieser Stelle aufgrub, fand ich keine liegenden Balken und Planken mehr, wohl aber eine Reihe von sechs starken eichenen Pfählen gleich denen in der Brücke von Wustrow her. Sie waren sofort als das Ende oder der Anfang einer Brücke zu erkennen. Die Axe derselben fällt nicht genau in die Richtung x y z, weicht vielmehr von derselben etwas nach Osten zu ab. In dieser fand ich nach Wustrow zu mit der Sonde weiter noch 5 Pfähle, so dass die Eigenschaft dieser 11 Pfähle als Zubehör einer einstmaligen Brücke Bestätigung erhielt.
Ihre Mittellinie weist zunächst auf eine kleinere, zwischen der Fischerinsel und den Wiesen bei Wustrow belegene Insel (Fig. 2). Der Zwischenraum bis zu dieser ist zum Teil tiefes Wasser, zum Teil weiches mit Rohr bestandenes Moor, welches bei dem niedrigen Wasserstand in diesem Herbst begehbar war. Man kann sich hier also sehr gut einen Pfad denken, der teils als Brücke, teils in bereits bekannter Weise aus Hölzern, welche auf dem Torfboden befestigt lagen, gebildet war. Gegenüber von der kleinen Insel mit einer abermaligen geringen Richtungsänderung nach Westen zu, liegt auf der Wustrower Seite der Punkt h, bis wohin der Lauf der Brücke i h (Fig. 2) von Wustrow her mit dem dritten Tor bereits verfolgt und festgestellt worden ist. Dass beide Enden der Brücke zu einem und demselben Zugang nach der Insel gehören müssen, wird man zugeben können. Dieser trames über Moor und Wasser von i bis z hat eine Gesamtlänge von 430 m. Die Angabe des Chronisten über das dritte Tor, dass es „tramitem ad mare juxta positum et visu nimis horribile monstrat“ wird ganz erfüllt sein, sobald auch die Reste des Tempelbaues selbst auf oder bei der Insel gefunden worden sind.
Nach Thietmar war der Tempel auf einem Fundament aus den Hörnern verschiedener Tiere erbaut. „Quod pro basibus diversarum sustentatur cornibus bestiarum.“ Diese Angabe erschien bisher kaum glaubhaft. Man getraute sich nicht, sie wörtlich zu nehmen und zu übersetzen. Und doch, wenn man die auf der Insel und in deren Umgebung unter Wasser vorhandenen Bodenverhältnisse in Betracht zieht, wird man sich sagen müssen, die Wenden hätten kaum in mehr einfacher und in technisch geschickterer Weise den vorhandenen weichen und nachgiebigen Boden für einen Tempelbau befestigen und tragfähig machen können als mit Hilfe von Hörnern. Sie hatten unter ihrem damaligen Wasserspiegel eine Schicht weichen Bodens von im Durchschnitt 1 m Stärke, darunter festen Diluvialsand. Um diesem Boden die für einen Weg, einen Versammlungsplatz oder auch für Wohnräume ausreichende Tragfähigkeit zu geben, genügte es, in den Torf Reisig zu packen und hierauf Lang- und Querhölzer zu legen, wie es hier geschehen ist. Sank diese Bodenbefestigung dennoch irgendwo ein, so war es leicht, sie durch Nacharbeit wieder zu ergänzen. In der Tat sind Stellen auf der Insel vorhanden, wo die Fussbodenhölzer mehrfach übereinander liegen und wo augenscheinlich eine Nachbesserung stattgefunden hat. Für einen monumentalen Bau jedoch war eine Packung von weichen und leicht verwesenden Reisern als Baugrund nicht ausreichend. Wenn der wendische Baumeister dagegen dem Torfboden ein dichtes Gerippe von starren unverweslichen Hörnern einfügte, so erhielt er ein dauernd tragfähiges Fundament, wohl geeignet, den Druck eines schweren Gebäudes auf den festen Untergrund zu übertragen. So nur kann Thietmars Angabe zu verstehen und die Bestätigung ihrer Richtigkeit zu erwarten sein.
Wenn auch von dem Tempelbau selbst sonst kaum noch etwas vorhanden und aufzudecken sein wird, von seinem im Torfboden steckenden Hörnerfundament müssen Überreste vorhanden und zu finden sein. Auf der gegenwärtigen, wie die Abbildung Fig. 1 zeigt, durch Aufgrabungen reichlich durchlöcherten Fischerinsel ist das Hörner-Fundament nicht gefunden worden. Dieser Platz, dessen Umrisse in alter Form als ein schönes Oval hervortreten, war allem Anschein nach der Ort bei dem Tempel, wo, wie Thietmar sagt:
„die Leute zusammenkommen, um den Bildern zu opfern und ihren Zorn zu besänftigen“,
wo sie die Lose warfen und das heilige Ross über die Speere führten usw.
Das Tempelfundament müsste also in der Nähe zu finden sein.
In Fig. 2 sind um den gegenwärtigen Bestand der Fischerinsel die ungefähren Umrisse der alten Inseloberfläche, wie sie nach den ausgeführten Bohrungen im Wasser sich ergeben haben, durch eine punktierte Linie dargestellt. Diese Linie beruht noch nicht auf Messung, sondern ist vorläufig nach dem Augenmass eingetragener Grundriss. Sie wird aber genügen, um darzutun, welche Fläche bei der Aufsuchung des Tempelfundaments in betracht kommt. Die mit K bezeichnete Fläche trat bei dem niedrigen Wasserstande dieses Herbstes als wasserfreies Land heraus. Innerhalb der alten Uferlinie wird das Tempelfundament von mir gesucht, bis jetzt allerdings noch ohne den gewünschten Erfolg.
Unter den wendischen Fundstücken, die bei den Aufgrabungen und Bohrungen auf der Fischerinsel in diesem Jahre gemacht wurden, sind zu nennen: eine grössere Anzahl eiserner Messer, eine Scheere, viele Nägel, zwei Schlüssel, Hechtspeere, eine gut erhaltene Speerspitze, ein Schläfenring aus Bronze, einige Eisengeräte und mehrere Bronzestücke unbekannter Bedeutung, Kupferblechstücke, Horn- und Knochenkämme, Spinnwirtel, bearbeitete Holzstücke usw.
Alle Stücke fanden sich auf dem Holzfussboden oder annähernd in der Tiefe desselben. Ebenso die sehr reichlich vorhandene Kohle, die an einzelnen Stellen, namentlich in der Gegend des Uferrandes wie geschichtet liegt. Die grosse Menge an Holzkohle, verkohlten Holzresten und Pfahlstumpfen, eingebrannte Löcher in die Fussbodenplanken usw. beweisen, dass eine gründliche Zerstörung aller Baulichkeiten auf der Insel durch Brand vorgenommen worden ist.
Ein Kampf kann dieser Zerstörung nicht voraufgegangen sein, denn es ist kein Menschenschädel oder –Knochen, ebenso sind, mit Ausnahme der genannten Speerspitze, keine Waffen gefunden worden. Der letzte Kampf hat vermutlich beim zweiten Tor, bei „Heidensruh“ – der Name ist wohl nicht ohne Bedeutung – wo menschliche Schädel und Skelette aus den Torfstichen früher in grösserer Zahl zutage gefördert worden sind, stattgefunden. Aus den Resten auf der Fischerinsel ist mit Sicherheit zu entnehmen, dass die Insel bei der Einäscherung bereits verlassen war.
Die Priester und Tempelhüter sind vorher geflohen. Sie haben natürlich ihre Bilder, Schätze und Wertsachen mit sich genommen. –
Aus dieser Annahme würde sich auch die immerhin nur geringe Anzahl und Erheblichkeit der auf der Fischerinsel gemachten Funde erklären.
Die Eroberer und Zerstörer waren vermutlich Sachsen oder die bereits zum Christentum bekehrten Pommern, in deren Besitz das Land tatsächlich auch von der Wendenzeit an bis zum Jahre 1236 war, wo es durch den Vertrag zu Kremmen an die Mark Brandenburg überging.
Die Feinde kamen also von Malchin oder von Demmin her und die Wenden mussten in entgegengesetzter, also südöstlicher Richtung, das ist von der Fischerinsel etwa nach dem Hanfwerder und von da in das Land flüchten.
Diese Annahme würde mit den im Volke lebendigen Überlieferungen in Einklang stehen.
Der Arbeiter Krickow in Penzlin (Krickow ist auch der Name eines Dorfes an der Lieps) sagt:
„Meine Vorfahren haben immer in Prillwitz gewohnt und haben mir erzählt: Als die Wenden haben fliehen müssen, haben sie ihren Götzen mitgenommen und haben ihn im Blankenburgs Teich versenkt.“
Der Tagelöhner Weden in Prillwitz, der aus Usadel stammt, teilt mir auf Befragen mit: Seine Mutter habe ihm erzählt und diese habe es von ihrer Mutter: Die Wenden seien umhergezogen und hätten ihr goldenes Kalb mit sich geführt, sie hätten es im Blankenburgs Teich verloren, da läge es drin.
Der Webermeister Penzlin in Usadel, 75 Jahre alt, sagt, sein Grossvater habe ihm erzählt, im Blankenburgs – Teich da läge das goldene Kalb usw.
Bei der Bewertung dieser Überlieferungen muss wohl in Betracht gezogen werden, dass die Bevölkerung im Lande von Alters her stets sehr sesshaft gewesen ist.
Auf eine Sage, die in der ganzen Gegend bekannt ist, machte mich bereits vor zwei Jahren Hr. Pastor Bossart in Prillwitz aufmerksam. Sie lautet in plattdeutscher Mundart: „Twüschen Prillwitz un Wansch doa liggt de Schatz.“
Der Blankenburgs-Teich aber liegt etwa 300 m vom südöstlichen Ufer der Lieps landeinwärts und auf der geraden Linie zwischen der Burg Prillwitz und dem Kloster Wanzka. In alter Zeit waren dies zweifellos die beiden Hauptorte dortiger Gegend.
Den Blankenburgs-Teich habe ich daher zunächst mit Sonde und Sackbohrer untersucht. Er ist gegenwärtig ein Bruch von ungefähr zwei Morgen Grösse, von dem aber früher nur ein kleinerer Teil ein Teich mit einer Tiefe bis zu 4 m gewesen sein wird. Der grösste Teil der Fläche ist nur bis zu 1 m tiefer Sumpf, darunter steht fester Boden. Die ganze Moorfläche ist mit Erlen- und Weidengehölz bestanden. Zum Verbergen eines darin versenkten Gegenstandes, den man wiedergewinnen will, eignete sich der Blankenburgs-Teich deshalb besonders gut, weil er etwa 10 m höher liegt als die Lieps und mittels eines Durchstiches nach dieser hin ohne grossen Arbeitsaufwand vollständig entleert werden konnte. Wenn das Bruch durch Vertiefung des gegenwärtig vorhandenen aber zu flachen Abzuggrabens entwässert und dazu abgeholzt wird, macht die Ausschachtung des weichen Bruchbodens und seine genaue Untersuchung keine zu grossen Kosten.
Bei dieser Wendung des Ganges der Nachforschungen wird man unwillkürlich an die Taten des Gideon Sponholz erinnert. Zweifellos sind ihm die Sagen über den Verbleib des Tempelschatzes bekannt gewesen, er hat danach gesucht, hat die Götzenbilder nicht gefunden und hat dann seine „Prillwitzer Idole“ selbst geschaffen. Als Finder hat er seinen Grossonkel, den Pfarrer Samuel Friedrich Sponholz in Prillwitz, und als Fundort den Pfarrgarten daselbst angegeben, doch wohl nur um einer Anfechtung seines Eigentumsrechtes vorzubeugen. Gideon Sponholz wusste wohl oder nahm es an, dass die Rethra-Götzen auf Prillwitzer Gebiet gefunden werden müssten.
Für die weiteren Nachforschungen dürften hiernach das Hörnerfundament des Tempels und der Inhalt des Blankenburgs-Teiches in erster Linie in Betracht kommen.
Oesten, Gustav: Bericht über den Fortgang der Rethra-Forschung, in: Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang 38, Heft 6, Sitzung vom 15. Dezember 1906, S. 1006-1014
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