Gustav Oesten: Bericht über die bisherigen Arbeiten der Rethra-Kommission


Gustav Oesten: Bericht über die bisherigen Arbeiten der Rethra-Kommission (PDF)

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(15) Hr. Voss überreicht den folgenden Bericht des Hrn. Oesten über die bisherigen Arbeiten der

Rethra-Kommission.

Die grosse Talmulde, welche die beiden Landseen, die Lieps und die Tollense umfasst, stellt eine einheitliche Grundmoränenbildung dar. Die Lieps bildet den oberen flacheren Teil derselben, die Tollense den unteren tieferen. Beide sind durch eine inselartige flache Geschiebeablagerung, den gegenwärtigen „Nonnenhof“, getrennt und durch mehrere grabenartige Wasserverbindungen wieder verbunden, welche die Abflüsse des Liepswassers in die Tollense bilden. Es sind dies von Südwesten nach Nordosten gehend: der Moddergraben oder der alte Bach, ein alter gekrümmter, stark verlandeter Wasserlauf, der noch gegenwärtig die Grenze zwischen dem Nonnenhof und Wustrow, zugleich die Landesgrenze zwischen den Ländern Strelitz und Schwerin bildet, dann der Alte oder Fischergraben, welcher für den Verkehr der Fischerkähne zwischen Lieps und Tollense dient, der Neue Graben, welcher vor etwa 90 Jahren zu gleichem Zweck angelegt sein soll, aber bereits in der Schmettau’schen Karte von 1780 verzeichnet ist und der Nonnenbach mit dem Wiedbach als Zufluss aus der Lieps. Vgl. hierzu Fig. 1.

Der „Nonnenhof“ selbst ist eine flache, zum grössten Teil sumpfige Niederung von etwa 800 Morgen Grösse, aus der nur einige kleinere Flächen als feste sandige Horste, aber ebenfalls flach, hervorragen. Ähnliche Bildungen liegen den Inseln in der Lieps, dem Hanfwerder, dem Kietz- und Binsenwerder, der kleinen Insel „Heidesruh“, sowie der Fischerinsel in der Tollense bei Wustrow zugrunde. Die Lieps mit dem Nonnenhof und allen Inseln, sowie die Tollense mit der Fischerinsel befinden sich im Besitz der Stadt Neubrandenburg.

Meine bisherigen Arbeiten mit dem Spaten, der Baggerschaufel, dem Sackbohrer, welche sich bis jetzt erst auf den Hanfwerder, kleinere Teile des Nonnenhofes, den Kietzwerder und Teile des Sees selbst erstreckt haben, ergeben, dass eine ausgedehntere Besiedelungsstätte der Redarier in der Lieps vorhanden war; sie haben mir aber auch gezeigt, dass man, um Art und Ausdehnung derselben zu verstehen und aufdecken zu können, sich zunächst klar darüber werden muss, welche erheblichen geologischen Veränderungen der Bodenoberfläche seit der Wendenzeit hier stattgefunden haben und wodurch sie herbeigeführt worden sind.

In erster Linie ist hier die Erhöhung des Wasserstandes der Lieps in Betracht zu ziehen.

Im Jahre 1287 ist, wie eine Inschrift an der Vierrademühle besagt, diese in Neubrandenburg von Bernhard, Herborts Sohn erbaut worden. Durch dieses Stauwerk wurde der Wasserspiegel der Lieps um etwa 1,5 m (bei mittlerem Wasserstande) gehoben. Der bei weitem grösste Teil der damaligen Oberfläche des Nonnenhofes wurde hierdurch mit einer Wasserhöhe von 0-1,5 m überstaut. In diesem flachen Wasser entwickelte sich, wie noch gegenwärtig, eine üppige Vegetation von Wasserpflanzen, deren Reste sich ansammelten und mit Anschwemmungen durch Wind und Wellen vereinigt neue Verlandungen auf den alten Flächen bildeten. Daher findet man jetzt auf diesen neuen Bodenoberflächen keine Spur von wendischen Kulturresten, wohl aber solche reichlich unter der neugebildeten Decke von Pflanzenerde auf der Oberfläche der Wendenzeit. Nicht alle durch die Erhöhung des Wasserspiegels überfluteten Bodenflächen sind wieder verlandet, grössere Strecken derselben liegen auch heute noch unter Wasser. Teile des früher festen Landes, die auch über den gegenwärtigen Wasserspiegel hervorragen, sind dagegen durch Eisgang und Wellen fortgerissen, fortgespült und an anderer Stelle wieder abgelagert, auch über die neuere Verlandung aufgeschoben und aufgeschwemmt worden. Gleiches ist an manchen Stellen mit den neuen Landbildungen selbst geschehen. Die Wirkungen der mit- und gegeneinander arbeitenden Naturkräfte machen sich an allen Uferstrecken bemerkbar und haben mancherlei Vermischungen der Bodenteile verschiedener Herkunft herbeigeführt, die nicht immer leicht verständlich sind. Stets liegt aber die alte, wendische Uferbegrenzung, die Linie zwischen dem Boden, der zur Wendenzeit Land und dem der Wasser war rund 1,5 m unter dem gegenwärtigen mittleren Wasserspiegel. Ungefähr entspricht die Lage des alten Ufers die in dem Plan Fig. 1 unterbrochen gezeichnete Linie. Man wird, wenn man diese Uferlinie durch Aufgrabung und Lotung aufsucht und aufmisst, Form und Begrenzung des zur Wendenzeit trockenen Landes wieder feststellen können. Bei diesen Aufgrabungen auf dem Nonnenhof würde man zugleich einen Einblick in die Verteilung und Ausdehnung der früheren Besiedelungsstätten auf dem Nonnenhof gewinnen.

Der Hanfwerder nun (Fig. 2, 3 u. 4), auf den ich nach diesen allgemeinen Bemerkungen speziell eingehen möchte, ist eine Insel in der östlichen Bucht der Lieps, die gegenwärtig eine Oberfläche von etwa 7 Morgen Grösse besitzt; sie enthält einen festeren Horst von etwa 2 Morgen Grösse am Ufer im Westen, welcher hier den über den See wehenden Stürmen frei ausgesetzt und daher von den Wellen stark abgespült ist. Die übrigen Ufer sind unter dem Schutz des nahen Landes nicht abgespült, an diesen hat vielmehr eine ausgedehnte Anschwemmung und Neuverlandung durch Pflanzenreste stattgefunden, welche bis zu 90 m in den See hineinreicht. Auf der Insel habe ich Gräben durch den festen Kern wie durch den angeschwemmten Teil gezogen. Es hat sich ergeben, dass der feste Horst von ovaler Gestalt von einem (eingesunkenen) Graben mit Wall umgeben war. Konzentrisch um beide zieht sich ein Landstreifen von 15-18 m Breite, welcher nach dem Wasser zu abdacht. Der grössere Teil seiner ehemaligen Oberfläche liegt unterhalb des gegenwärtigen Wasserspiegels. Am alten Uferrand, etwa 0,8-1,0 m unter dem letzteren schliesst dieser Landstreifen mit einer Uferbefestigung aus Rundhölzern mit zwischen dieselben gesetzten Pfählen und aufgelegten Querhölzern ab. Diese Uferbefestigung ist an der West- und an der Nordseite in gleichem Abstande vom inneren Graben vorgefunden und freigelegt worden. Die auf dem Hanfwerder ausgeworfenen Gräben sind, weil derselbe gegenwärtig nicht bewirtschaftet und Vieh daselbst nicht geweidet wird, offen liegen geblieben, so dass der Befund leicht wieder zu ermitteln ist und weiter verfolgt werden kann. Innerhalb der alten Uferbefestigung sind auf dem Hanfwerder zahlreiche wendische Kulturreste vorhanden und vorgefunden worden; ausser Scherben und Knochen ein eisernes Messer, eine eiserne Pfeilspitze, ein Zierkamm aus Knochen usw.

Es sind Funde nur aus jener Zeit gemacht worden. Der grösste Teil des aus den Gräben ausgehobenen Bodens ist nach Fundstücken noch nicht durchsucht.

Der Hanfwerder kennzeichnet sich hiernach nicht al eine Tempel-, wohl aber als eine einheitliche burgwallähnlich befestigte Wohnstätte vielleicht die eines vornehmen Wenden oder Knesen. Die Abgeschlossenheit und Unzugänglichkeit des ganzen Liepsgebietes brachte es mit sich, dass ich zur Ausführung der Arbeiten von verschiedenen Seiten in dasselbe zu gelangen und einen geeignet gelegenen Stütz- und Unterkunftspunkt in der Nähe desselben zu gewinnen suchte.

Über Blankensee, über Neubrandenburg, von Penzlin her über Wustrow, von Neustrelitz über Prillwitz usw. Ich machte hierbei von selbst Bekanntschaft mit allen Teilen des Gebietes und gewann dabei eine Anschauung von der Eigenart desselben, die mich veranlasste, die Nachforschungen auf dem Hanfwerder abzubrechen und mich an die nach Prillwitz zu gerichtete äusserste Spitze des Nonnenhofes zu begeben (siehe Plan Fig. 1).

Hier untersuchte ich zunächst den „Bachuswall“ oder „Bacherswall“. Es ist dies der von den Wellen noch nicht fortgespülte Überrest eines künstlich aufgeschütteten Walles von 20 m Breite und 1,7 m Höhe über der alten wendischen Oberfläche. Er hat jetzt noch eine Länge von etwa 40 m und schliesst die Spitze des Nonnenhofs nach der Landseite hin ab. Die nach beiden Seiten über das gegenwärtige Ufer hinaus und in den See hinein vorhanden gewesenen und durch die Wellen eingeebneten Fortsetzungen des Bacherswall sind erkennbar und namentlich bei dem niedrigen Wasserstande dieses Sommers deutlich hervorgetreten. Es ist auch zu erkennen, dass der südliche Arm eine Biegung nach Westen zu gemacht haben muss. Auf der Landseite sind die Überreste eines verlandeten breiten Grabens noch deutlich wahrzunehmen und durch Grabung nachgewiesen. Die abgespülten Teile des Walles müssen nach jeder Seite hin eine Länge von mindestens 50 m gehabt haben, so dass die ganze Länge der Wallanlage nicht unter 140 m betragen haben kann. Dieses Schutzwerk war, wie die Lage des Grabens beweist, nach dem Lande zu gerichtet, das zu schützende Objekt muss mithin auf der nach Prillwitz zu gerichteten Spitze gelegen haben. Gegenwärtig hat diese nur eine Landfläche von etwa 4000 qm. Diese Spitze ist von mir durch Längs- und Quergraben untersucht. Auf der Oberfläche derselben sind Reste wendischer Kultur nirgend wahrzunehmen. Sobald man jedoch die obere, aus Pflanzenresten bestehende Bodenschicht durchstochen hat, gelangt man in einer Tiefe von 0,7 – 1 m und 0,5 m unter dem gegenwärtigen Wasserspiegel auf die wendische Kulturschicht mit vielen Knochen und Scherben. Die gegenwärtige Landspitze ist von einem ausgedehnten, unter Wasser liegenden Vorlande umgeben, auf dem Plan Fig. 1 durch die gestrichelte Linie abgegrenzt. Diese Linie ist, wie bereits bemerkt, die der gleichen Wassertiefe von 1,5 m, also der alte wendische Uferrand. Sie hält sich zu beiden Seiten der Landspitze in einem Abstande von etwa 50 m, weicht aber nach Prillwitz zu bis zu 150 m in den See hinaus. Innerhalb der von diesem alten Uferrand und dem Bacherswall eingeschlossenen Seefläche von etwa 3 ha Grösse enthält der Seegrund viel Knochen, Scherben und Kohle, auch ist ein Stück einer eisernen Kette, ein Dolch und eine eichene Pfahlspitze gefunden worden. Jede Baggerschaufel und jede Sackbohrerfüllung bringt einige wendische Reste zutage. An einer ausgedehnteren Stelle im Süden der Landspitze, 30-50 m vom Ufer und in 1-2 m Wassertiefe sind besonders viele grobe Kohlenstücke herausbefördert worden. Die flachgekrümmten Jahresringe dieser Kohlenstücke zeigen, dass sie durch Verbrennung starker Hölzer entstanden sind, es muss also hier ein bedeutenderes Bauwerk niedergebrannt sein.

Ich habe nun ferner die kleine Insel, den Kietzwerder, in der Linie zwischen der Nonnenhofspitze mit dem Spaten untersucht. Die Verhältnisse sind hier dieselben wie auf der Nonnenhofspitze; unter der neueren Verlandung von 0,5-1 m die wendische Kulturschicht mit Knochen und Scherben. Auf der Nordseite dieser Insel am Ufer und im flachen Wasser findet man besonders viele Stücke von gebrannter Lehmmasse, die mit Kalk überzogen grau aussehen, deren Natur man daher erst erkennt, wenn man sie durchbricht; der Bruch zeigt lebhafte ziegelrote Farbe.

Der Kietzwerder hat zur alten Zeit einen erheblich grösseren Landumfang gehabt als gegenwärtig, wie die in dem Plane verzeichnete alte Uferlinie zeigt. Bei der Erhöhung des Wasserstandes muss die Insel zunächst ganz oder fast ganz unter Wasser gelegen und kann nur eine Untiefe gebildet haben, auf welcher alsdann durch Pflanzenwuchs und Anschwemmung neues Inselland entstanden ist. Namentlich in der Richtung von Prillwitz nach der Nonnenhofspitze zu ist die Ausdehnung der Insel früher erheblich grösser gewesen. Durch Lotungen im See konnte ich feststellen, dass der See in dieser Linie zwischen Prillwitz und der Nonnenhofspitze nur geringe Tiefe hat, und dass diese nach beiden Seiten hin von dieser Linie ab zunimmt. Die grösste Tiefe fand ich zwischen Prillwitz und dem Kietzwerder zu 2,5 m, zwischen diesem und der Nonnenhofspitze zu 2,8 m.

Es blieben also nach altem Wasserstande hiervon nur 1 m und 1,3 m Wassertiefe übrig. Diese zwischen den drei Punkten sich hinziehende Untiefe kann natürlicher Herkunft, sie kann aber auch durch Fortspülung einer Dammschüttung entstanden sein, was erst durch genauere Untersuchungen festgestellt werden könnte. Jedenfalls war es zur Wendenzeit bei dem damaligen niederen Wasserspiegel nicht schwer, zwischen Prillwitz und der Nonnenhofspitze eine Verbindung durch Pfad und Brücken auszuführen und zu erhalten. Wenn ich das Ergebnis meiner örtlichen Untersuchungen in dem Liepsgebiet zusammenfasse, so darf ich wohl sagen, es liegt hier eine Örtlichkeit mit slavischer Besiedelung vor, welche im Hinblick auf die Rethrafrage weiterer und eingehender Untersuchung wert ist und dazu herausfordert. Nach meiner Ansicht dürften die weiteren Arbeiten sich zunächst darauf richten müssen:

a) die alte Uferlinie des Nonnenhofes aufzusuchen, aufzumessen und dadurch die Gestalt des Nonnenhofes zur Wendenzeit zu rekonstruieren,

b) die Verteilung der früheren Besiedelung auf diesem Gebiete, zugleich auch auf dem umschliessenden Festlande bei Prillwitz, Wustrow und beim Nonnenbach zu ermitteln und festzulegen,

c) ein Längenprofil mit Querprofilen der Linie Prillwitz-Bacherswall aufzunehmen und den Seegrund dieser Strecke auf etwa vorhanden gewesene Dammschüttung oder Brückenlage zu untersuchen,

d) schliesslich weitere Baggerungen, Bohrungen und Grabungen an den sich hierbei als besonders aussichtsvoll ergebenden Punkten vorzunehmen.

Oesten, Gustav: Bericht über die bisherigen Arbeiten der Rethra-Kommission, in: Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang 36, Heft 2, Sitzung vom 19. März 1904, S. 292

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