Pöhlmann: Wo lag Rethra? (PDF)
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Im Liepssee ist Rethra versunken, das Gott gelästert hat:
Da sind von der Tiefe gerichtet Menschen, Vieh und Stadt.
Es schimmert an klaren Tagen dort manches Daches Knauf.
Da klingen aus gläserner Tiefe die toten Glocken herauf.
Alljährlich auf Sankt Johannis, um die brütende Mittagsstund‘,
Zu Lande steigen drei Glocken in blumigen Wiesengrund.
Da kam ein Mädchen aus Prillwitz und wusch sein Tuch im See –
Und sah die drei Glocken wie Steine, grau im Märzenschnee.
Sie spannt ihr Tuch darüber, daß die Sonn‘ es trocknen sollt,
Zwei Glocken halten stille, die dritt ins Wasser rollt.
Und höhnend klingt’s aus der Tiefe, das Wasser kocht und braust,
Das Mädchen läuft gen Prillwitz und betet, weil ihm graust.
Die Prillwitzer kommen mit Stangen und tragen Speere und Wehr.
Der Zauber ist gebrochen. Die Glocken wandern nicht mehr,
Die Neubrandenburger spannen ihre stärksten Pferde an,
Das Land ob der Scheide ist ihrer, sie wollen die Glocken han.
Die Neubrandenburger Gäule schaffen die Glocken nicht fort.
Um keines Haares Breite weicht der Karren vom Ort.
Da hebt sie der Prillwitzer Bauer mit einem Ochsen am Pflug.
Da sind sie leicht wie Federn. Das ist ein Siegeszug.
Nun sagen die Glocken zu Prillwitz redlich Zeit und Stund‘,
Tod und Leben und Feuer kündet ihr eherner Mund.
Die Glocke von Rethra im Liepssee stimmt wohl leise ein,
Und auf den Dächern von Rethra spiegelt sich Sternenschein.
Diese Verse von Ilse Franke geben eine der vielen Sagen wieder, von denen Lieps und Tollense raunen.
“Twüschen Prillwitz un Wanzsch, doa liggt de Schatz”, der Tempelschatz, das goldene Kalb, der Götze der Wenden, den sie bei der Flucht mitführten und im Blankenburgsteich versenkten, der etwa 300 Meter vom südöstlichem Ufer der Lieps landeinwärts und auf der geraden Linie zwischen der Burg Prillwitz und dem Kloster Wanzka liegt. Der Forscher Oesten, der hier nach Rethra suchte, erinnert an Gideon, Sponholz, der nach Oestens Ansicht sicher die Sagen zum Anlaß genommen hat, hier zu forschen. Als er nichts fand, hat er die Prillwitzer Idole selbst geschaffen.
Solche Sagen kommen nicht ungefähr, und Aufgabe der deutschen Archäologie wäre es, durch Grabungen in den Sagenwald hineinzuleuchten und ihn durch die Strahlen der Geschichte zu erhellen. Wie ich höre, beschäftigt sich Wossidlo noch immer sehr eifrig mit dem Rethrasagenschatz von Tollense und Lieps.
Vom Sagenbestand gingen auch die Neubrandenburger aus, die, angeregt durch eine Schrift des Schweriner Archivars Dr. Beyer (1867) über Grenzwehren und Landwehren der Redarier, Rethra nicht mehr bei Prillwitz, sondern nunmehr auf der Fischerinsel suchten. Man glaubte den pons ligneus des Adam von Bremen gefunden zu haben, man fand einen Pferdeschädel, einen slawischen Schläfenring von Bronze, u.a.m. Die Stelle in Thietmar von Merseburg: “Im Redariergau liegt eine Burg mit Namen Ridegost (Radegast?) dreihörnig und mit drei Toren, ganz von einem großen Walde, den die Bewohner unversehrt und heilig halten, umgeben. Zwei der Tore stehen allen, die hinein wollen, offen. Das dritte, das nach Osten geht und ganz klein ist, hat einen Pfad zu dem nahen und schauerlich anzusehenden See. In dieser Burg steht nichts als der Tempel von Holz, kunstreich konstruiert, der im Fundamente von Tierhörnern getragen wird” – wurde auf Wustrow und die Fischerinsel gedeutet. Noch bestärkt wurde die Ansicht des Neubrandenburger Museumsvereins und der Rethrakommission, die durch Mittel der Rudolf Virchowstiftung unterstützt wurde, durch die Abkehr des Ingenieurs Oesten von seiner ursprünglichen Ansicht, der Tempelplatz sei auf dem Amtshofe in Feldberg zu suchen. Oesten fand überall, auf den Liepsinseln und auf Nonnenhof, Spuren wendischer Siedlungen, deren kultischer Mittelpunkt die Fischerinsel war. – Bis zum Jahre 1922 hatte die Fischerinsel ziemlich unbestritten den Ruhm, das Rethra zu sein, das Burkhard von Halberstadt eroberte und des dämonischen Rosses beraubte, auf dem der streitbare Kirchenfürst vergnügt und munter nach Hause ritt.
Am 3. Oktober 1922 wurde der Schloßberg in Feldberg von Geheimrat Schuchhardt als das Rethra der Slawen erklärt, und in den schwungvollen Ausführungen seines bekannten Buches: Arkona, Vineta, Rethra, stellt er die Forderung, Rethra muß wie Arkona eine Höhenburg gewesen sein, durch dieses Argument scheide die Fischerinsel aus.
Bei dem Ausflug des Mecklenburg-Strelitzer Geschichtsvereins, der am 31.8.30 unter Leitung von Archivdirektor Witte, Neustrelitz, unternommen wurde, bekannte sich Herr Archivar Karbe, Neustrelitz, als überzeugter Anhänger der Schuchhardtschen Hypothese. Die Niederungen hätten die Slawen erst auf der Flucht aufgesucht. Nur der Neubrandenburger Lokalpatriotismus habe hierin Rethra verlegen können! Nichts zeuge dafür, daß hier Rethra gestanden habe. In temperamentvollen Ausführungen wandte sich Staatsförster Klöckner, Zachow, gegen die Ansichten der Herren Karbe und Schuchhardt. Er verglich die wertvollen Funde der Fischerinsel mit den nach seiner Ansicht nichtssagenden Ergebnissen der Ausgrabungen auf dem Schloßberg; man habe nicht 420 Meter Brücke und einen mühevollen Bohlenbelag hergestellt, um sich ein Fleckchen Erde zu gewinnen. Aus der Abgelegenheit von Feldberg habe die Priesterschaft von Rethra nicht den machtvollen Einfluß üben können wie hier an der Königstraße von Osten nach Westen. Das kleine Tor, das dritte, sei in Feldberg keineswegs nach Osten gelegen, wie Thietmar es verlangt. Ferner bemängelte Herr Klöckner die Uebersetzung von tricornis, bestritt, daß eine slawische Tempelburg eine Höhenburg sein müsse, und verlangte klare Auskunft darüber, ob nach Ansicht der Gegenseite, der Tempel innerhalb oder außerhalb der Tempelburg gelegen habe. Steueramtmann Jungtow stellte eine baldige Veröffentlichung von Studienrat Beyer, Friedland, in Aussicht, der die Fischerinsel für Rethra halte.
Mit gespannter Aufmerksamkeit waren die zahlreichen Hörer diesen Auseinandersetzungen gefolgt, und mit allgemeinem Beifall wurde es begrüßt, als Archivdirektor Witte bekanntgab, daß im Jahre 1931 voraussichtlich zwei große deutsche historisch-archäologische Gesellschaften sich an Ort und Stelle mit dem Rethraproblem befassen würden.
Studienrat Pöhlmann, Neubrandenburg
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in: Ostmecklenburgische Heimat, Jahrgang 3, Nr. 18, 1930, S. 142-143