Maurer, Hermann: Zur Lage des wendischen Rethra.


Maurer, H: Zur Lage des wendischen Rethra (PDF)

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Viele Forscher haben sich schon mit dem geheimnisvollen Ort beschäftigt und viele Meinungen sind aufgetaucht über die nähere Lage des Ortes. Die Majorität der Forscher entschied sich, Rethra in der Nähe von Feldberg in Mecklenburg-Strelitz zu suchen. Andere verlegten Rethra nach anderen Orten. So hatte unser verstorbener Alfieri den grossen Werder im Liepnitzsee bei Biesenthal in den Verdacht, Rethra zu sein. In Freundeskreisen verhehlte er diesen Verdacht keineswegs und veranlasste Herrn Dr. Bolle-Scharfenberg zu dem Ausspruch: “Jeder Mensch hat sein Rethra!” Auch mir sollte das Schicksal nicht erspart werden, mein Rethra zu finden und zwar fand ich es nicht weit von Feldberg. Ich will mit dieser meiner Entdeckung jedoch den anderen Rethraentdeckern keinen Abbruch thun, überlasse jedem sein Rethra und bitte nur, mich im ungestörten Besitz des meinigen zu lassen. Sollte sich jedoch eine Fehde entspinnen, so bin ich gern zufrieden, wenn die streitenden Parteien ihre respektiven Rethras des lieben Friedens wegen aufgeben und mein Rethra als das einzig richtige, wahre und unantastbare anerkennen.

In dem preussischen grossen Brückenthin-See in der Nähe der Stadt Lychen liegt eine kleine zu Mecklenburg-Strelitz gehörende Insel. Diese Insel war schon einmal das Ziel meiner Sehnsucht und wurde vor mehreren Jahren von mir, allerdings nur sehr flüchtig, untersucht. Es fanden sich bei der ersten Untersuchung Scherben von Töpfen, sonst weiter nichts.

Im Sommer dieses Jahres (1897) besuchte ich den Pächter des grossen Brückenthinsees, meinen Vetter, und benutzte die Gelegenheit, die Insel einmal gründlicher zu untersuchen. Dieselbe bildet ein langgestrecktes Oval. Westlich und östlich erscheint der gewachsene Boden in zwei niedrigen Anhöhen. Der Raum zwischen den beiden Anhöhen ist durch schwarze, richtige Burgwallerde künstlich aufgehöht. Wir gruben in dieser Erde ein Loch von ca. 80 cm Tiefe, ohne den gewachsenen Boden zu errreichen. Der heutige Flächenraum des Eilandes beträgt ungefähr 2,64 Hectar. Die Höhe zwischen den beiden Anhöhen umfasst ca. 1,3 Hectar. Das Übrige ist niedrige Wiese. Westlich Steilufer. Die Wiese macht den Eindruck, als wenn sie künstlich geschaffen und zwar unter Benutzung der auf dem Plateau befindlichen schwarzen Erde. Die Untersuchung des Bodens lieferte schön und reich ornamentierte Gefässreste von zwar noch alter Technik, aber von den alten Modellen abweichender Ornamentik. So sind u.A. Die geriefelten früh mittelalterlichen Töpfe, wie auch reicher ornamentierte Gefässe nachgeahmt. Heute liegt die Insel in tiefer Einsamkeit, früher muss aber die Gegend entschieden dichter besiedelt gewesen sein. So z.B. ist heute Brückenthin, das dem See den Namen gegeben, ein kleines Vorwerk, das Dorf Kastaven lebt in den Namen seiner drei Seen fort u.s.w.

Es muss die Umgebung des Sees auch einst der Schauplatz gewaltiger Verwüstungen gewesen sein, was sich daraus ergibt, dass die um- und angrenzenden Dörfer zwar alle wendische Namen tragen, wie Retzow, Dabelow, Wokul, Pian u.a., dagegen nach deutscher Art – lange Dorfstrasse – angelegt sind. Ich hatte schon früher in Dabelow selbst Nachforschungen nach der alten Dorfstelle angestellt, die ausser einem mittelalterlichen Gefässrest nichts Greifbares ergaben, freilich hatte ich Eingeborene nach der alten Dorfstelle nicht gefragt. Durch Zufall entdeckte ich endlich den Beweis für meine Annahme auf der Rückfahrt vom Brückenthinsee nach Dabelow. Mein Vetter bemerkte nämlich: “Jetzt haben wir es gleich geschafft, da liegt ja schon das alte Dorf.”

Damit wies er auf einen breiten, gerundeten Hügel vor uns. Ich besah mir den Hügel nun näher und fand die schönste wendische Dorfanlage. Mitten im Bruch eine erhöhte Rundung, noch gekrönt durch den alten Kirchhof des Dorfes, sonst beackert. Man kann wohl – ohne in den Verdacht zu kommen, Phantast zu sein, – ruhig aus dem Vorhergesagten folgern, dass die Wendenniederlassungen durch Deutsche wohl zerstört, die Dörfer aber später durch Landeseingeborene wieder aufgebaut worden sind, wenn auch nach der Bauweise der neuen Herren, der Deutschen. Beweis: die alten Namen. Aber ausserdem drängte sich mir die Frage auf, wo blieben die Bewohner, wenn plötzlich eine Feindesschar heranbrach sengend, plündernd und mordend. Ich denke, dann stürzte Jung und Alt mit dem wertvollsten Besitz in die Kähne und rettete sich nach der im Brückenthinsee verborgen liegenden Insel. Eine fahrbare Verbindung mit anderen Wasserstrassen besassen oder besitzen weder Dabelow- noch Brückenthinsee. Wer den geflüchteten Bewohnern nachsetzen wollte, musste an Ort und Stelle erst Kähne oder Flösse bauen, oder solche von benachbarten Sees auf Wagen nachkommen lassen. Auf jeden Fall erfreuten sich die Insulaner einer gewissen Sicherheit und konnten den Abzug der Bedränger ruhig abwarten oder, wenn der Feind wirklich so tollkühn war, einen Angriff mit Kähnen zu wagen, dann konnten sie von ihrem steilen Wall die Stürmenden mit Leichtigkeit in den tiefen See stürzen. Ausserdem war es ihnen, das heisst den Inselbewohnern unbenommen, an allen ihnen genehmen Punkten der Seeen Brückenthin und Dabelow bewaffnete Mannschaft zu landen, um den Bedrängern möglichst vielen Schaden zuzufügen. Die Insel war jedenfalls gross genug, um ein Heiligtum zu tragen, sowie den gesammten Umwohnern mit ihrer Habe Obdach und Schutz zu gewähren.

Es dürfte von Interesse sein, die alten Dorfstellen im allgemeinen festzustellen und die Oberfläche derselben zu untersuchen. Eine eingehendere Untersuchung der Insel, dieselbe führt übrigens keinen Eigennamen, dürfte Ergebnisse nicht liefern, weil der Pflug und Spaten der Beackerer alles zerstört und die wesentlichsten Stücke, die über frühere Besiedelung, Baulichkeiten u.s.w. Auskunft geben könnten, sich auf dem ehemaligen Seegrund unter der jetzigen Wiese befinden dürften.

Somit bin ich auch nicht in der Lage, bessere Beweismittel für meine Annahme, die Insel sei das alte Rethra, beizubringen. H. Maurer

aus: “Brandenburgia” Monatsblatt der Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Unter Mitwirkung des Märkischen Provinzial-Museums herausgegeben vom Gesellschafts-Vorstande. VII. Jahrgang 1898/99, Druck und Verlag von P. Stankiewicz‘ Buchdruckerei, Berlin 1899 S. 162-164

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