Gustav Oesten: Bericht über den Fortgang der Rethraforschung (6/1908) PDF
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Bericht über den Fortgang der Rethraforschung.
Von
G.Oesten
Meine bisherigen Berichte über die Arbeiten zur Rethraforschung bedürfen einiger Ergänzungen und Berichtigungen, die durch weitere Wahrnehmungen und Befunde begründet erscheinen.
Was den Blankenburgsteich anbetrifft, so kann ich zunächst berichten, dass eine Besichtigung der vorher durch Pumpen von Wasser entleerten Ausschachtung in diesem Bruch durch Mitglieder der Berliner Anthropologischen Gesellschaft u.a. am 28. Mai d. J. stattgefunden hat. An diesem Ausfluge, mit dem Sammelpunkt Neustrelitz, beteiligten sich die Herren: Professor Kossinna, Blume, Dr. Olshausen, Professor Beltz-Schwerin, Archivregistrator Müller-Neustrelitz, von der Hagen, Dr. Strauch, Konservator Krause, Brückner usw. Es wurden zunächst die am Ausflusse des Teiches in der um 1,5 m vertieften Grabensohle aufgedeckten Reste einer alten Schütze aus starken eichenen Pfählen besichtigt. Hierzu möchte ich gleich bemerken, dass sich zu den beiden in meinem letzten Berichte genannten, einander gegenüberstehenden und mit Nuten versehenen Pfählen seitlich noch ein dritter Pfahl vorgefunden hat. Es scheint eine Pfahlwand vorhanden gewesen zu sein. Die Tiefe, bis zu welcher die Führungsnuten hinunter reichen, ist noch nicht ermittelt. Um die wahre Bedeutung dieser Anlage erkennen zu können, müsste dieselbe in grösserer Breite und Tiefe aufgedeckt werden. Meine Vermutung, diese Schütze könnte zu Zwecken der Fischzucht in dem Blankenburgs-Teich gedient haben, muss ich fallen lassen, Tiefe und starke Bauart dieser Stauvorrichtung gehen über das Bedürfnis eines Fischteiches hinaus; die zur Klosterzeit für diesen Zweck angewendeten Vorrichtungen haben eine wesentlich andere Konstruktion als der Befund. Die Besichtigung ergab ferner die Bestätigung dafür, dass eine künstliche Vertiefung des Teichbodens, um welche herum der ausgegrabene Boden abgelagert wurde, vorhanden ist, dass aber die gegenwärtige Ausschachtung die grösste Tiefe, den Mittelpunkt der alten Grube noch nicht erreicht hat. Dieser liegt vielmehr östlich von den aufgefundenen Hölzern. Die Aufdeckung einer steinzeitlichen Ansiedlung ist daher nur eine teilweise, letztere gewissermassen bis jetzt nur angeschnitten. Dass es sich bei den durcheinander liegenden Hölzern in der Tat um die Reste eines zusammengestürzten Bauwerkes handelt, wurde, obwohl das Holz weich und bei vorgeschrittener Verwitterung äusserlich formlos ist, daran erkannt, dass drei Stücke zweifellos verbunden gewesen sein mussten, etwa in der Weise wie die nebenstehende Skizze dies veranschaulicht. In diesen drei Hölzern sind die runden Löcher, welche zu ihrer Verbindung mittels etwa 25 mm starker Holznägel gedient haben, gut erhalten vorgefunden worden.
Ich möchte hierbei nochmals auf den Seite 563 Fig. 4 bei i verzeichneten Bretterboden zurückkommen, um zu ergänzen, dass derselbe mit einer dünnen lehmigen Schicht bedeckt war, in welcher kleine Steine mosaikartig eingebettet steckten. Diese Bretterlage kann daher nicht gut das Dach, wohl aber den Fussboden des zusammengebrochenen oder umgefallenen Bauwerkes gebildet haben.
Es wurde alsdann durch die Besichtigung der ausgehobenen Gräben und durch Untersuchungen mit der Sonde festgestellt, dass der Boden des Blankenburgs-Teich durchweg gleichmässig aus einer Moorschicht von etwa 0,8 m besteht, die auf dem Diluvialsand aufliegt, dass aber ausser der ausgeschachteten Vertiefung in dem Teichboden noch bei a‘ und d des Plans, Fig. 1, S. 560, gleichartige über 3 m tiefe Auskolkungen vorhanden sind.
Die Herren Teilnehmer des Ausflugs traten meiner Ansicht bei, dass es sich um Reste einer steinzeitlichen Besiedlung handele, dass sich bei Ausdehnung der Ausschachtung weitere Aufschlüsse ergeben müssten und dass die Fortsetzung der Erforschung des Blankenburgs-Teich für die Kenntnis der Steinzeit sehr wünschenswert sei. Natürlich würde diese Arbeit mehr oder weniger unabhängig von der Rethraforschung durch geeignete Kräfte auszuführen sein. Nachzutragen ist hier noch, dass in der Tiefe des vorgenannten Bretterbodens eine zugeschärfte Hirschkrone gefunden worden ist und mit den früher genannten Fundstücken sich in der Neustrelitzer Sammlung befindet.
An die Besichtigung des Blankenburgs-Teichs schloss sich noch ein Ausflug zu Wagen nach einer alten Wallanlage im Zippelower- und Rosenholz. Diese geht vom kleinen Penzliner Stadtsee aus und schliesst sich bei einer Länge von 500 m südwestlicher Richtung an ein 800 m langes Bruch mit Graben an. Sie tritt alsdann wieder auf zwischen dem südlichen Ende dieses Bruches und dem Eichsee. Von hier an bildet die sumpfige und wasserreiche Niederung zwischen Prillwitz und Hohenzieritz bis zum Eulenspiegel eine natürliche Schutzwehr für das eingeschlossene Gebiet wie nach Norden hin die Penzliner Seen. Die Wallanlage ist am kleinen Stadtsee eine dreifache, der Wälle und Gräben hintereinander, weiter südlich noch doppelt und dann einfach. Am kleinen Penzliner Stadtsee hat sichtlich ein Eingang in das geschützte Gebiet bestanden. Ein zweiter Eingang ist zwischen dem genannten Bruch und dem Eichsee leicht erkennbar. Hier ist der Übergang über den Graben von einem halbmondförmigen Wall umschlossen.
Es sind Anzeichen vorhanden, dass diese Landwehr, die Feldmark Wendfeld (!) und die Hellberge einschliessend, das Gebiet der Lieps in weiterem Kreise umfasst hat, indem sie westlich bei Wustrow und östlich bei der Einmündung des Nonnenbachs in den Tollensesee an diesen anstösst. Die Überreste dieser alten Umwehrung, insbesondere ihre ehemaligen Eingänge in die umschlossene Landschaft zu erfoschen, erscheint wichtig, weil es leicht möglich ist, dass es sich um das Gebiet handelt, welches Thietmar den pagus Riedirierun mit der urbs quaedam Riedegost nennt, während Adam von einer civitas Rethre mit dem templum des Radegast redet. (1) Es würde dadurch der scheinbare Widerspruch in den Angaben der beiden Berichterstatter Aufklärung finden, und auch die Mitteilungen Adams würden, allerdings mit Ausnahme vielleicht seines „neunfachen Styx“ als zutreffend erkannt werden können. Übrigens ist es bei den hydrographischen Verhältnissen der Bodenoberfläche sehr wohl möglich, dass jemand, der von Westen kommend vom Eingangstor am kleinen Stadtsee (etwa 45 m Seehöhe) in das Rethragebiet zum Tempelheiligtum auf der Fischerinsel (etwa 14,6 m Seehöhe) hinabstieg, neunmal Wasserläufe und Wasserflächen überschreiten musste, bis er das Endziel erreichte.
Die letzten Grabungen und Bohrungen auf der Fischerinsel und im Wasser bei derselben haben hinsichtlich des gesuchten Hörner-Fundamentes ein negatives Resultat ergeben. Nachdem ich nunmehr die gegenwärtige Insel selbst und die unter Wasser liegenden Teile ihres alten Bestandes so vielfach und an allen Stellen durchlocht habe, ohne auf eine solche Packung von Hörnern im Moorboden gestossen zu sein, darf ich wohl sagen, dass sie nicht vorhanden ist. Dagegen haben die Bohrungen auf der Westseite der Insel im See ein wichtiges positives Ergebnis gehabt. Hier stiess ich zuerst mit dem Sackbohrer auf starke Pfähle, welche ein Eindringen des Bohrers verhinderten. Bei weiterem Bohren und Arbeiten mit Sonden wurde festgestellt, dass eine geradlinige Reihe solcher Pfähle und Langhölzer in einem Abstande von etwa 7 m von der Uferlinie der Insel und ungefähr parallel mit dieser in einer Länge von etwa 12 m vorhanden, dass eine zweite Reihe senkrecht zur ersteren auf die Uferlinie gerichtet ist, wie die umstehende Skizze in punktierten Linien zeigt; und dass in dem von beiden Pfahllinien eingeschlossenen Winkel ebenfalls Pfähle stehen. Ferner ergaben die Bohrungen innerhalb des Winkels nur geringe Mengen von Scherben, Kohlen und Knochenstücken, sämtlich nur kleine, vom Wasser gerollte und aufgespülte Stücke; dagegen wurde hier eine lehmige Masse und eine grössere Anzahl kleiner Steine, Eichenholzstücke und Spähne aus dem Seegrunde heraufbefördert. Die Bohrungen ausserhalb der Pfahlstellung, die erst in geringer Zahl ausgeführt sind, förderten viel Kohle auch in gröberen, ungerollten Stücken, viel Stücke gebrannte Lehmmasse, durch Brand zersprungene Steine, Fussknochen, Fusswurzelknochen und Fersenbein sowie Zähne und andere Knochen eines Pferdes, dazu eine sauber gearbeitete und verzierte eiserne Bügelschnalle, mehrere Stücke Metallblech, darunter eins von Kupfer mit einem Niet, ein anderes, stark angeschmolzen, von Messing oder Bronze, in welchem ein abgebrochener Nagelknopf steckt; dieses hat augenscheinlich als Beschlag auf Holz gedient. Ferner unweit von dieser Stelle, auch im westlichen Teil der Insel, ein Bruchstück von etwas stärkerer Bronze mit einem runden Loch, ebenfalls Teil eines Beschlages und ein kleines Stück einer Platte von weichem Metall, schwarz patiniert, wahrscheinlich Blei.
Auf der ganzen Insel ist sonst die Befestigung der Bodenoberfläche, soweit sie noch erhalten, in der Art vorgefunden, dass auf eine Packung von Zweigen Langhölzer und Bohlen gelegt und durch kleinere Pfähle in ihrer Lage befestigt waren. Auf diesem Unterbau war auch die auf der Ost- und der Nordseite der Inselfläche zweifellos vorhanden gewesene Ansiedelung errichtet. Der aufgefundene starke Pfahlrost muss daher einem stärkeren und schwereren Bauwerk zum Fundament gedient haben, als sonst auf der Insel vorhanden waren. Dieses Bauwerk auf der Westseite der Insel hat einen Vorsprung oder Anbau zu ihrem ovalen Grundriss gebildet und ist, wie die bisherigen Bohrungen wahrscheinlich machen, sowohl von der Seeseite wie bei seinem Zusammenhange mit dem Insellande von einer Vertiefung, vermutlich einem Graben, umgeben gewesen. Ich kann hierbei nur an den Tempel selbst denken und muss auch angesichts des aufgefundenen Pfahlfundamentes meine Annahme, dass nach dem Texte Thietmars der Bau auf einer Packung von Hörnern im Moorboden gegründet war, aufgeben; „quod pro basibus diversarum sustentatur cornibus bestiarum“ muss anders zu verstehen sein, als ich vermeinte und es bisher auch meist übersetzt worden ist. Die abweichende Ansicht, die besonders auch Herr Professor Beltz vertrat, wird Recht behalten.
Wenn „basibus“ sich als Mehrheit auf die Basen der Säulen oder Holzstiele des Tempelbaues bezieht, diese also aus Hörnern gebildet oder damit bekleidet waren, so sind sie mit dem Holzwerk verbrannt. Man kann dann Horn nur als Kohlenstücke wiederfinden, worauf bisher noch nicht geachtet worden ist.
Bei einer genauen Prüfung der durch eine Bohrung zahlreich zutage geförderten Kohlenreste müssten sich indessen sicher auch solche finden, die nicht aus Holz, sondern aus Horn entstanden sind.
Mit diesem Bericht werden die Rethraforschungsarbeiten zu einem Abschluss nicht kommen dürfen, sie haben aber leider unterbrochen werden müssen, weil die hierzu seitens der Rudolf-Virchow-Stiftung gewährten Geldmittel erschöpft sind. In der Hoffnung nachträglicher Genehmigung habe ich sogar den ausgesetzten Kredit überschritten.
Eine vollständige Ausbaggerung des Seegrundes rund um den aufgefundenen Pfahlrost und innerhalb desselben, sowie eine sorgfältige Auswaschung und Durchsuchung des ausgehobenen Baggerschlammes kann nunmehr als die nächste Aufgabe einer hoffentlich weitergeführten Rethraforschung bezeichnet werden.
Oesten, Gustav: Bericht über den Fortgang der Rethraforschung, in: Zeitschrift für Ethnologie, Jahrgang 40, Heft 6, 1908, S. 915-919
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