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aus: §. 10. Der Wenden Ankunft.
… Die Vidivarier oder vermischte Wenden waren es, welche im 6ten Jahrhundert auch wol früher allgemach einzeln und Familienweise in die durch die vielen Kriege, und durch die ausgezogenen Kriegsleute anderswo errichteten Etablissementer weniger besetzt gebliebenen Suevischen Provinzen, und besonders in das ihnen angrenzende Land, das wir jetzo Hinterpommern nennen, einzogen. Es kann auch seyn, daß die Wenden überhaupt in die Suevischen Länder mit Gewalt eingezogen sind, denn man hat von der Art ihrer Besitznehmung in den Geschichten keine Nachricht.
§. 11. Die Wilzen, ein wendisches Volk, deren Untereinteilung.
Von der ersten Ankunft dieses Volks muß man einen Geschichtleeren Raum von 200 Jahren zurücke lassen, worin das tiefe Stillschweigen alles verhüllet, was auf die hiesigen Lande einen Bezug haben kann. Im 8ten Jahrhundert aber wird die Geschichte redend; sie zeiget uns ein mächtiges Volk der Wilzen, welche den ganzen Strich Landes von der Weichsel bis zur Elbe besassen, und von dem Wilzan Draisco und nach ihm von seinem Sohn Liubi unumschränkt beherrschet wurde. Weiterhin wurde das Wilzische Reich getheilet. Meligast überkam den südlichen Strich, die heutige Mark Brandenburg, und Celeadrag die nordlichen Provinzen, und unter diesen die jetzigen Pommerschen Länder, welche zusammen das Leutizische Reich in 4 Provinzen, nemlich der Rheterer, Tollenser, Circipaner, Uberpeenschen, und Kissiner ausmachte. Diese behielten auch noch den Namen Wilzen bey, nannten sich daneben Weletaber. Die älteste Nachricht, die man von den Wohnplätzen dieser vier Völker hat, giebet Adamus Bremensis und Helmoldus1 welche im 11. und 12. Seculo lebeten. Beyde stimmen darin überein, daß die Circipaner zwischen der Peene und der Ostsee, auch westwärts der Peene nach Malchin hin; die Kissiner aber vor ihnen in dem heutigen Mecklenburg in der Gegend diesseit Rostock wohnhaft, und durch die Peene und die Stadt Demmin von den Tollensern, welche ihren Sitz um die Tollense gehabt, und von den Rheterern abgetheilet gewesen. Die Lage Anklams fällt also unstreitig in das Gebiet der Rheterer, welches bis zur Oder reichete.
§. 12. Die Rheterer.
Die Rheterer waren die mächtigsten von diesen vier Völkern, und in Absicht ihres grossen Götzen Redigast, der auch Ridegast oder Radigast genannt wird, wollen sie etwas vom Vorzuge vor die übrigen fordern. Er war der Hauptgötze, welchen die Obotriten in Mecklenburg, die Tollenser und Rheterer anbeteten. Er hatte also mehr eigenthümliche Verehrer als der Swantevit zu Arkona an den Circipanern, Ueberpeenschen und Kißinern hatte. Der Götze Redigast hat nicht weniger Unruhe, Krieg und Blutvergiessen bey seinen Daseyn gestiftet, als Unheil im geistlichen angerichtet; ja, wo er nicht etwa noch im tiefen Schlummer und Moder begraben lieget, oder schon längst zu Staub und Asche aufgelöset worden; so setzet er noch die gelehrten Federn, welche den Ort seiner Wohnung erforschen, in fechtende Bewegung. Sie suchen seinen Tempel, der nicht mehr da ist, in der Stadt Rhetare, welche nicht mehr vorhanden ist.
§. 13. Die Stadt Rhetre und ihre Lage.
Bald will man diese Götzenstadt an der Elbe, bald an dem Muritzer-See in der Uckermark, bald an der Tollense bey Stargard in Mecklenburg, bey Rhena, Gadebusch, Malchin, Malchow, Rese, Neu-Brandenburg, Prillwitz, Wollgast und bald, wer weiß nichtwo, antreffen. Der Greifswaldische Professor Schwarz findet sie am Frischen Haff2 und der Herr Pastor Stolle3 suchet selbige am Cummeroschen See. Wie viele Jahre sind verstrichen, bis diese Nachweisung auf den Tempel und die Stadt Rhetre sich hervor gegeben hat. Die Stätte, wo der Götze Redigast seine Residenz gehabt, hat so wenig eine Erwartung vom vorzüglichen Glücke, als Pommern und Mecklenburg von einem Vorzuge gegen einander, wenn in des einen oder des andern Grenzen ein stummer Götze residiret. Ich kann nicht unbemerkt lassen, daß wol beyde, Pommern und Mecklenburg einen gleichmäßigen Antheil auf die Stadt Rhetra haben mögen. Man will, daß Rhetre zweymahl, im Jahr 955 und nachhin 1157 soll zerstöret worden seyn. Ob dasselbe bey seiner ersten Zerstörung auf eben seinem Platz wieder erbauet worden, dieses zeigen die Geschichts-Verzeichnisse nicht an, auch das nicht, wo es wieder angebauet worden. Ueberhaupt ist alles dieses auf keinen historischen Grund gebauet, und kein einziger gleichzeitiger Schriftsteller hat so wenig ein bestimmtes Jahr angegeben, als denjenigen nahmhaft gemacht, welcher die Zerstörung verrichtet habe. Zur Zeit, als der heilige Otto von Bamberg die zweyte Reise nach Pommern antrat, ist diese Zerstörung ohne Zweifel kurz vorher durch den Herzog von Sachsen Lotharius geschehen, wie der Hr. Prof. Thunmann diese seine Meynung in der Untersuchung der alten Geschichte einiger Nordischen Völker pag. 269 bestärkt. Es haben drey Schriftsteller von diesem Rhetre geschrieben. Der eine ist der Bischof Dithmar von Merseburg, welcher bis 1030, der andere ist der Bremische Canonicus Adam; dieser hat bis zum Jahre 1067 oder 1072 gelebet. Helmold, ein Canonicus zu Bützow, überlebte das Jahr 1170, und wird von ihm nicht ohne Grund behauptet, daß er andere ausgeschrieben habe. Von allen dreyen ist anzunehmen, daß sie in die Rhedarischen Lande nicht gekommen sind; und ihre Erzählung von Rhetre ist nicht übereinstimmend. Dithmar beschreibet es unter den Namen Riedegast, da er den Götzen mit dem Namen der Stadt verwechselt, daß es in dem Lande der Redarier liege, dreyhörnicht (tricornis) sey, drey Thöre in sich fasse, und mit einem grossen Wald umgeben sey. Durch zwey Thöre sey jedermann einzugehen erlaubt; das dritte, welches gegen der Sonnen-Aufgang liege, sey das kleinste, und führe zu den Fußsteig oder Gangbrücke, wo das nicht weit entfernte Meer erschrecklich anzusehen sey. Adam der Bremer nennet sie eine weit berühmte Rhedarische Stadt, ein Götzen-Nest mit einen grossen Tempel, dessen Haupt-Götze Radigast von Golde, und seine Lagerstätte von Purpur bereitet ist; die Stadt selbst habe 9 Thöre, werde auf allen Seiten von einem tiefen See berührt, oder eingeschlossen; die zum Opfern oder Göttersprüche anzuhören, dahin wollen, diesen ist mittelst einer hölzernen Brücke ein freyer Zugang zu dem Tempel, welcher vier Tagereisen von Hamburg entfernet sey. Beyde Geschichtschreiber haben ihren Aufsatz aus dem mündlichen Vortrage eines dritten, und ob sie eben deshalb, oder aus einer andern Ursache, in ihren Bericht verschieden sind, dieses ist eine andere Frage, deren bishero noch nicht geschehene Auflösung den Anschein giebt, daß Schreibfehler vorgegangen sind. Dithmar saget von drey Thören, der Bremische Canonicus erzählet von neun Thören. Ersterer hat ausdrücklich Thöre, und zwar Hauptthöre verstanden, weil zwey davon jedermann offen sind, und das dritte ist der Gegensatz, wo nur die zur Verehrung der Götzen gehende den Weg zum Tempel offen haben. Des letztern 9 Thöre, da er 40 und mehrere Jahre nach dem Dithmar geschrieben, sind nach dem Anwuchs der Stadt Rhetre weit möglicher, als wenn man ohne Noth aus portas-partes, neun Theile der Stadt, und aus jedem Theil eine Insel machen will. Civitas ipsa, sagt er, novem portas habet, undique lacu profundo inclusa, pons ligneus transitum praebet per quem sacrificantibus aut responsa petentibus via conceditur. Hätte er neun mit Wasser umflossene Theile oder Anhöhen verstanden wissen wollen, so würde es inclusas stat inclusa heissen, und hätten mehrere Brücken angeführt werden müssen. Die Schilderung eines jeden Thors mit umflossenen Wasser, wozu soll diese? Ein diesen alten von den neuern angebrachter Zwang der Erklärung, beruhet lediglich in dem Hang zu einer Idee, welche nothwendig ist, um die Städte Rhetre dahin zu verlegen, wo sie selbige hin haben wollen. Man höre die Worte eines Erzählers: Das Wasser gehet auf allen Seiten um die Stadt herum; dieses klinget, als wenn sie auf einer mit Wasser umflossenen Anhöhe liege. Das Wasser gehet aber in ihrem innern Theil herum, und die Stadt lieget umschlossen an einen tiefen See. Um die Lage der Stadt Rhetre zu finden, dünken mir folgende Merkmale genug zu seyn:
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Rhetre muß im Lande der Rhetere gelegen haben.
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bey einen tiefen See, von welchem man ein weit grösseres Wasser erblicket, und
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in dem See muß eine Insel seyn.
Alle übrigen Merkmale sind veränderlich, selbst die von dem Bremischen Canonico angegebene Entfernung der vier Tagereisen von Hamburg willkührlich, und ungewiß, so lange man nicht weiß, wie viel Meilen auf einen Tag gerechnet, und ob sie gehend, fahrend oder reitend zurückgelegt werden sollen. Das Dorf Prillwitz in Mecklenburg wegen der dort vor einigen Jahren aufgefundenen Wendischen Götzenbilder, das Dorf Cummerow in Pommern, wegen der von dem Herrn Pastor Stolle in seiner Geschichte der Stadt Demmin angebrachten gelehrten Ausführung, und das Dorf Rieth in Pommern am Warpersee nahe dem grossen Haff; diese drey Oerter sind vor allen die drey nächsten Pretendenten an dem Radigastischen Tempel, und ich kann mich nicht enthalten, dem letztern meine Beystimmung zu geben. Die vorhin gedachte drey unveränderliche Merkmale stimmen mit dem Rieth gar zu genau überein. Die Aehnlichkeit des Namens Rieth mit dem Rhetre würde an sich kein grösseres Gewicht geben, wenn nicht auch die noch übrig gebliebene gemeine Sprache zur Seite trete. Man sagt niemals, man wolle nach Rieth reisen, sondern thom Rieth, welches auf das daselbst Besondere und durch das Alter Verlohrne anzielet, gleichsam als zum Tempel des Riedegast. Man höret und lieset nicht: thom Demmin, Stettin, oder sonst sich zu begeben. Es ist noch im Gebrauch, daß auch in Briefen nicht schlechtweg Rieth, sondern Thom Rieth datiret wird, und selbst auf den Wegweisern der Gegend findet man Thom Rieth verzeichnet. So feste klebet das Vorwort Thom an dem Orte. Dieses Rieth lieget ohnstreitig im Lande der Rheterer; der Warpersee hält in sich eine Insel, welche dem Herrn von Bröker als Besitzer des Guts Rieth zugehöret, und die einen festen Boden auch theils Erhöhungen bis weniger oder mehr dann 20 Fuß gegen die Fläche des umgebenden Wassers hat. Allgemein gesagt, kann nicht geleugnet werden, daß ein Wasser sich erhöhen, und Gründe vertiefen können; ja wenn die See um diese Insel ein zu Tragung einer Brücke zu tiefes Wasser führte, so würde diese daselbst so viele Jahre durch leicht entstehende Veränderung, mehr vor als wider die Meynung seyn, daß diese Insel den Rhedarischen Tempel getragen habe. Wer das zwey Meilen breite Haff, womit der Warper-See unmittelbar vereiniget ist, von der Seite dieser Insel übersiehet, der wird wie Dithmar schreibet, das Erschreckliche in seinem Blicke, visu nimis horribile, finden. Die Hölzungen sind noch ziemlich da. Bey Rieth ist keine Aufbietung der Elemente nöthig, daß sich das Wasser oder Insel erhebe, um die Schilderung des Rhetre vollständig zu machen. Seine Lage hat so viel Sicherheit als Bequemlichkeit für das ganze Volk bey sich. Sicher war es, weil es in einer waldigten Gegend, wie noch heut zu Tage, und an den verborgensten Grenzen des Rhedarischen Gebietes lag. Bequem war seine Lage zum Gottesdienst sowol, als zu allgemeinen Zusammenkünften, wenn Landesberathschlagungen gehalten wurden. Nicht das ganze Volk, sondern die Vornehmsten desselben wurden dahin berufen. Die Rhedarische Provinz erstreckte sich bis nahe an der Oder. Diese hatten bis Rieth nicht viel näher zu reisen, als die von der westlichen Grenze, und was kommt es bey dergleichen wichtigen Geschäften auf eine oder zwey Tagereisen an? Die Gottesdienstliche Handlungen waren freywillig, und erforderten Reisen wie die Wallfahrten, welche die Religion denen Obotriten von der Seite Wismars angenehm und nothwendig machte, oder vielmehr den Kißinern, Tollensern und Circipanern, denn jene, die Obotriten, hatten nicht so viel, und wer weiß, ob gar irgend einen so dringenden Anspruch an den Tempel als diese. Die Entlegenheit war nicht so groß als Arkona auf Rügen von Dännemark, woher der Suantevit mit verehret wurde. Die Andacht macht allemal kurze Reisen, auch wenn die Teutschen nach Rom oder gar nach Jerusalem und die Türken nach Mekka wallfahrten. Die Dithmarsche Beschreibung der Stadt Rhetre, daß sie dreyhörnig, tricornis, gewesen, trift mit der Gegend bey Rieth genau überein. Hier bilden sich die drey Hörner ganz deutlich: eine Seite der Stadt hat die südwestliche Kante der See gegen Neu-Warp auf, und die andere das nordwestliche Ufer gegen Altwarp auf, eingenommen, die dritte Seite hat sich zwischen beyden vorhergehenden Flügeln gegen Südwest, wo das heutige Dorf Rieth übrig ist, ausgebreitet.
§. 14. Meynung wieder Prillwitz.
Die in den Obotritischen Alterthümern für Prillwitz fechtende Meynung setzet gar ein vieles zum voraus, ehe sie sich befestigen kann. Die Gegend hat keine Gewässer, welche doch nothwendig sind, und eben daher will man das Wasser 2 bis 3 Mann höher steigen und die Ufer der Peene überschwemmen lassen, um die Thäler daselbst anzufüllen. Die Peene hat wol auf beiden Seiten niedrige Wiesen und Hütungen, welche zusammen genommen in einer Breite von etwas weniger als einer Viertelmeile, von hohen Ufern bey uns begrenzet werden. Dieses ist an sich richtig. Daß aber diese Niedrigung zur Wenden Zeit voll Wasser 2 bis 3 Mann hoch angefüllet gewesen seyn sollte, solches streitet wider die historischen Wahrheiten; und man müste aufhören zu glauben, daß die aus den wendischen Zeiten mit Gewißheit übrig gebliebene Städte, welche, wie Demmin weit niedriger gelegen, und immer etwas mehr angehöhet worden, da gewesen wären. Sie würden in lauter Wasser gestanden haben, und keine bewohnte Plätze gewesen seyn. In der Zeit, da Adamus Bremensis lebte, von 1060 bis zur Zeit, da Bischof Otto von Bamberg zu Usedom eintraf, sind 60 bis 70 Jahre. Sollte in der Zeit die Stadt Usedom zu seinem Empfang angeleget seyn? Wer kann solches behaupten? Sollte aber mit dem Tode des Adami das zu Prillwitz erforderliche Gewässer abgefallen seyn? dazu ist kein Grund, keine historische Nachricht: die Natur schreitet nur stuffenweise; äussert sie ihre Macht auf einmal, so redet gewiß die Geschichte davon überlaut. Usedom war schon alt, als der Bischoff Otto daselbst ankam. Seine niedrige Lage konnte keine Wassererhöhung von 2 bis 3 Mann hoch erdulden. Die aufgefundene Prillwitzschen Götzen haben also fast nichts wahrscheinliches aus ihrer verscharrten Gruft mitgebracht, um behaupten zu wollen, daß an diesem Orte die Stadt Rhetre zu finden sey.
§. 15. Zweifel wider Cummerow.
Für Cummerow scheinet ein unbenannter Autor, der 1168 noch gelebt hat, das Uebergewicht zu geben. Derselbe schreibet von dem Mecklenburgischen Bischoff Johannes, daß er im Jahr 1066 von den Wenden gefangen, geviertheilet, und sein Haupt auf eine Pike gesteckt, um die Peene herum jenseit Demmin, zum Siegeszeichen dem Götzen Radigast geopfert worden. Adamus von Bremen4 und der Abt Albert von Staden5 erzehlen eben dasselbe, letzterer aber fügt hinzu, daß dieses in der Slavischen Hauptstadt Rhetre geschehen sey. Der Ort, wo dieser ungenannte Autor seine Chronik geschrieben hat, ist nicht bekannt, und eben daher bleibet auch die Lage von Rhetre durch ihm nicht zu bestimmen. Der Stadensche Abt ist zu jung, daß sein Zusatz von Rhetre einen grossen Ausschlag geben könnte, denn er gehet mit seiner Chronik bis ins Jahr 1256; und wenn auch die Opferung zu Rhetre geschehen, so ist durch das circa Panim hoc est ultra Demmin, die Lage der Stadt noch nicht weiter angezeigt, als daß sie in der Gegend der Peene hinter Demmin zu suchen ist, oder daß die Enthauptung zwar zu Rhetre vorgegangen, das auf der Lanze gesteckte Haupt aber andern Orts an der Peene ausgestellet worden. Er zeiget nur eine gewisse Gegend an, wobey er die Peene jenseit Demmin zum Merkmal seiner Richtung angiebet; er wuste den Platz selbst nicht, denn Rhetre war schon gänzlich verwüstet, als er lange nachher um die Jahre 1168 schrieb. Und wer hat geschrieben? ein ungenannter, ungewisser Auctor, der entweder 1066 zur Zeit, da Johannes enthauptet wurde, lebte, der aber nach dem Laufe der Natur bis 1256 schwerlich hat leben und seine Chronik bis dahin fortsetzen können, oder er hat in dem letzten Jahre gelebt, und was er von 1066 geschrieben, von andern vor ihm bereits geschrieben gefunden. In diesem Fall ist er nur ein Fortsetzer der Chronik, der bey der Erzehlung dessen aus dem Jahr 1066 die Geschichtslinie nicht von den Rügianischen Grenzen her, sondern wie Adamus, Albertus und Helmoldus von Bremen, Stade und von Mecklenburg hernehmen kann. Der Incertus Auctor schreibet nichts mehr, als was Adam von Bremen schreibet, nemlich circa Panim ultra Demmin, und dieser lebte zur Zeit, da der Bischof ermordet wurde, der ungenannte Auctor der Slavischen Chronik aber 100 Jahr hernach. Hat er sich etwa in der Abtey Corvey aufgehalten? Die Gelehrsamkeit wurde der Zeit mehrentheils unter der Geistlichkeit ernähret, und die Chroniken in den Klöstern verfertiget. Man läßt ihn nicht unbillig für einen Geistlichen gelten. Es kann seyn, daß er sich zu Bützow aufgehalten, woselbst zu eben der Zeit Helmoldus sein Geschichtsbuch aufsetzte. Von diesem seinem Standplatze aus zeiget er auf die Gegend des verwüsteten Rhetre, und bezeichnet selbiges um die Peene herum hinter Demmin weg. Andere Kennzeichen fand er dort nicht.
Großwin, eine feine nicht eben grosse Stadt, wol aber eine grosse Burg, so zwischen Anklam und dem vormaligen Kloster Stolpe gelegen, und seinen Untergang von den Dänen im Jahr 1184 erhalten hat, war ihm nicht zur Richtung dienlich. Anklam lag in seinen von den Pohlen verursachten Ruinen, und Uekermünde war ein geringer Flecken, wol gar noch ein Dorf. Seine Gesichtslinie gieng also gerade über Demmin, längs der Peene nach Rhetre zu, und da er den Fluß nicht vollends zur Linie gebrauchen konnte, so schreibet er circa Panim, ohngefehr da so um die Peene herum, sey der Bischof Johannes dem Radigast zum Opfer ermordet.
§. 16.
Die aufgefundene obotritische Alterthümer haben mich auf diesen Abweg geführet, und beynahe bin ich von meinem Gegenstand zu weit abgewichen. Die Forderung eines bis 2 und 3 Mann höhern Wassers in dem Peenefluß, dessen auf beyden Seiten in den erhabenen Landufern eingeschlossene niedrige Wiesen und Hütungen, die ihren Ursprung in der Mosaischen allgemeinen Wasserfluth erhalten haben, zwinget mich einer Forschung auf die Stadt und den Tempel zu Rhetre entgegen zu gehen, damit ich nicht, wenn Prillwitz mit seinen Götzen in umflossenen Hügeln sich gesichert siehet, den größten Theil von Anklam unter Wasser getaucht finden möchte. Die gefundene Götzen mögen zu Prillwitz verehret seyn, dieses ist zuzugeben, ein auf Kosten der Peenewiesen umflossenes Rhetre aber daselbst zu bauen, solches wird schwerlich zugestanden werden.
§. 17. Wann der Name Pommern aufgekommen.
Es war der Regierungsverfassung der Slaven gemäß, daß sie sich von einem einigen Herrn nicht regieren liessen, ob sie wol bey widrigem Kriegesglück auf eine Weile andern Gehorsam leisten mußten. Ihre öffentlichen Geschäfte brachten sie in gemeinsamen Rath auf den Landtägen zum Schlusse. Die Wilzen behielten diesen Namen der von Wils-Chan, grosser Herr bedeutet, so lange bey, als ein Wilzan oder Großheer denen übrigen kleinern Fürsten vorgesetzet war, welches, was die Lutizer, Weletaber und Rheterer betrift, bis zur Zeit der eingeführten, eingeschränkten, vorher ausgedehnten aristocratischen Regierung fortdauerte, welches nach Micralii6 Muthmassung, im Jahr 1107 geschehen, da ganz Pommern sich unter dem Fürsten Wartislaf I. verband, und denselben zum Landesherrn annahm. Von dieser Zeit an wurde der Name Pommern eingeführt, ob wol anfänglich im XI. und XIIten Jahrhundert die Chroniker, Adam von Bremen und Helmoldus, die Hinterpommern nur allein damit bezeichnen, und die Vorpommern annoch die Wilzen und Lutitier nennen.
Stavenhagen, Carl Friedrich (Hg.): Topographische und Chronologische Beschreibung der Pommerschen Kauf- und Handels-Stadt Anklam, aus Urkunden und Historischen Nachrichten verfasset und mit einem Anhange des Herrn Pastors J.F.Sprengels zur Kirchen- und Gelehrten Geschichte, A.F.Röse, Greifswald 1773, darin: Erste Abtheilung, Topographisch-Politische Beschreibung der Stadt Anklam, Erstes Hauptstück, Anklams Ursprung, §11 – §17 S. 13-22
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1Adam. Brem. Lib. II. Hist. Eccl. C. 13. p. 54. Helmold. Chron. Slav. Lib. I. Cap. 14. fin.
2in Historia fin. Princip. Rugiae pag. 7.
3Geschichte der Stadt Demmin pag. 478.
4Lib. 4. Cap. 43.
5Chron. pag. 239.
62te Buch §. 66.